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Nächte im Zirkus

Nächte im Zirkus

Titel: Nächte im Zirkus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angela Carter
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ihn, während sie ihr Weinen endete, und rieb sich wie ein Kind mit den Fingerknöcheln die Augen. Die dunklen Stellen in ihrem Gesicht mochten Tränenspuren sein oder die Zeichen von Schlägen.
    Nichts sonst regte sich in dieser Straße schiefer, verrammelter Häuser. Der Nebel drückte nach unten wie der Deckel auf den Topf. Ein melancholischer Hund bellte in der Ferne. Im Mietshaus hinter ihm die böse Fiesta der Clowns. Nirgendwo, wohin er diese Waise hätte bringen können, die ihm der Zufall hergeführt hatte, außer - die Madonna der Manege wackelte vom Plakat herüber mit ihrem Popo: sein Entschluß war gefaßt. Er schnalzte und gurrte beruhigend auf das Mädchen ein wie eine Kunstreiterin, die ein scheues Pferd gefügig macht, und führte sie durch ein Labyrinth von Baracken, bis sie plötzlich auf eine glitzernde Straße hinaustraten.
    Welch donnernder Lärm! Welch strahlende Lichter! Die Menge der Menschen, der Pferde, der Kutschen! Es rührte Walser, zu sehen, wie die kleine Mignon, nur an ihre armseligen Wohnungen, an Wohnwagen und die schäbige Rückseite des Zirkuslebens gewohnt, bald zu schluchzen aufhörte und erstaunt und aufgeregt umherblickte. Sie hatte anscheinend Polypen und atmete durch den Mund, aber sie hatte eine blasse, unterernährte, ungesunde Hübschheit. Als sie zu weinen aufhörte, hatte sie Atem genug, um zu husten.
    Sie gaben ein seltsames Paar ab. Eine geschminkte Prostituierte mit verschleierten Augen und einem schönen Mantel mit Pelzkragen drehte sich um und sah ihnen nach. Sie bekreuzigte sich, dachte, sie habe ein Paar heiliger Narren gesehen, doch der Türsteher des Hotel de l’Europe in seiner braunen Uniform, weniger abergläubisch, kam ihnen mit abwehrend ausgestreckter Hand entgegen und verbot den Eintritt durch die Glastüre mit der Geste des Engels vor dem Paradies.
    Walser versuchte es mit seinen wenigen Worten Russisch und wiederholte »bitte« einige Male, doch der Portier lachte und schüttelte den Kopf. Er trug die Epauletten und die Mütze eines Generals, mindestens. Mignon, die an Walsers Arm hing, schaute und schaute durch die Glastür auf das Märchenland dort drinnen, das Leuchten des elektrischen Lichtes, die weichen Teppiche, die feinen Damen (nicht hübscher als sie selbst), die ihre Busen den sich verbeugenden Herrn in Abendtoilette zeigten. Sie schaute mit glücklicher Ehrfurcht, beinahe mit Dankbarkeit, daß solcher Luxus existierte. Sie erwartete nie, daß der Türsteher sie einließe - warum sollte er? Sie wußte besser als der törichte Clown, daß diese Freuden nicht für solche wie sie waren, und doch war der Anblick dieses verbotenen Leckerladens von einem Hotelfoyer in sich genug, sie für einen Tag zu entschädigen, an dem ihr Liebhaber sie der Gnade eines hungrigen Tigers ausgeliefert hatte, an dem sie dann von ihrem Ehemann verprügelt und schließlich grün und blau und halbnackt auf die Straße geworfen worden war, im russischen Winter. Sie stieß kleine gutturale Laute sehnsüchtiger Bewunderung aus. Ihre Augen waren wie Mühlsteine rund und groß.
    Dann dachte Walser, er könnte den Portier vielleicht mit einem Schmiergeld besänftigen, doch als er unter seinem Hemd nach dem Brustbeutel tastete, in dem seine Rubel zu verstecken ihn die Clownkollegen gelehrt hatten, legte sich eine feste Hand in bronzefarbenem Lederhandschuh auf seine intakte Schulter, während eine zweite, identisch gekleidet, vor den Augen des Portiers zwei rosa Zettelchen präsentierte, die er als Freikarten für den Premierenabend der Größten Show der Welt erkannte. Er und Mignon wurden sogleich in die warme duftende Luft des Hotelinneren hineingeweht, hinter Fevvers her, während der Türsteher sich mit serviler Dankbarkeit beinahe bis zum Boden verbeugte.
    Ihre Suite schien ausschließlich mit Blumenarrangements möbliert, aber unter einigen Zentnern weißem Flieder entdeckte Fevvers einen rotsamtenen Lehnstuhl von der Größe einer Sitzbadewanne und ließ sich hineinplumpsen; sie kickte ihre Stöckelschuhe von den Füßen und warf schulterzuckend einen blumig gewebten spanischen Umhang von sich: Gesten wütender Müdigkeit. Unter dem Umhang trug sie ein extravagantes Satinkleid in jenem Rot, das Blondinen, wie es immer heißt, vermeiden sollten, weil es ihnen »die Farbe nimmt«. Doch Fevvers, deren Rouge noch leuchtender war, schadete es nichts. Das Kleid war mit schwarzen Spitzen besetzt und beinahe bis zu den Brustwarzen ausgeschnitten, wohl um von ihrem

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