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Nächte im Zirkus

Nächte im Zirkus

Titel: Nächte im Zirkus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angela Carter
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unverständlicher Dankbarkeit revanchierte sowie - aus irgendeinem Grund - mit einem Traktätchen oder Moritatentextheft, das sie, ohne einen Blick darauf zu werfen, in ihre Handtasche versenkte. Der Colonel dachte sich nichts weiter dabei, wenn auch der Kuchenverkäufer, ein Mitglied der Geheimpolizei, an dieser Transaktion sehr interessiert gewesen wäre. Doch Fevvers hatte gerade in diesem Augenblick sein ganzes Angebot aufgekauft und es großzügig unter die Charivarikinder verteilt, die beim Anblick dieser Gastlichkeit von der Wäscheleine gepurzelt kamen und mit solchem südlichen Enthusiasmus den Kuchenhändler umsprangen, daß er kaum genug sah, um sein Geld einzusacken.
    Die beiden Frauen hatten ein Mädchen dabei oder besser eine junge Dame - blond, schlank, flott gekleidet in roter Wolle. Dem Colonel kam es wie eine vage Erinnerung: Die hab ich doch schon einmal gesehen? Und sie hinterließ überhaupt keinen Eindruck bei dem Starken Mann, so vertieft war er darin, seinen Freunden die Verletzungen zu schildern, die Walser sich bei ihrem nächsten Zusammentreffen zuziehen würde.
    Der Colonel kaute an seiner Zigarre und seufzte, denn Fevvers nickte ihm nur ganz kurz und abrupt zu, als die beiden Frauen mit ihrem Gast an ihm vorüber in die Menagerie eilten, wo sie rasch verschwanden, als verfolgten sie die Blutspur, welche die Prinzessin hinter sich hergezogen hatte. Die Bewunderung, die der Colonel für Fevvers empfand, wuchs proportional zu deren Gleichgültigkeit und zum Vorverkauf.
    Jedoch: »Heda! He! Hallo!« Seine leicht ablenkbare Aufmerksamkeit richtete sich auf den tumultartigen Auftritt der Clowns mit ihrer Horde kläffender Hunde. Sein neuer Rekrut, stellte er mit Zufriedenheit fest, war pünktlich anwesend, wenn auch ein wenig ramponiert - Arm in der Schlinge, und so.
    »Jetzt - auf geht’s!« sagten die Stallburschen unter Gelächter zu Samson, aber dem genügte ein Blick auf Buffo, groß wie ein Haus und bereits halb hinüber, wie er seine Schäflein mit gewohnter majestätisch-irrer Würde wachsam in den Zirkus drängte und mit dem Gebaren eines Mannes, dem es auf schwerste Körperverletzungen nicht ankommen sollte. »Wohl kaum«, entschied der Starke Mann, der nun strategisch zu denken begann: Er schob seinen Kaffeebecher wieder auf den Tisch und verpißte sich; mal warten, bis er solo auftaucht.
    Buffo führt seine Clowns an. Das Dutzend Clowns. Augenblick: was ist das? Ein Dutzend mit Zuschlag! Wo es gestern zwölf waren, sind es heute dreizehn, und der dreizehnte auffällig klein geraten.
    Die Clowns. Betrachten wir sie als eine Truppe von Terroristen. Nein, das ist nicht ganz richtig: nicht Terroristen - Freischärler. Eine Einheit von Freischärlern, denen die wildesten Übergriffe gestattet sind, solange - nur eben solange - sie als bizarre Erscheinungen auftreten, damit ihre gewalttätige Darlegung unserer Umgangsformen noch diesseits der Grenze zum Terror bleibt, wenn wir auch notwendigerweise das Lachen über sie erst erlernen müssen und das Gelächter zum Teil aus der erfolgreich unterdrückten Angst geboren wird.
    Klein-Iwans Beziehung zu den Clowns entwickelte sich folgendermaßen: Erst fürchtete er sie, dann war er von ihnen bezaubert, endlich wollte er werden wie sie, damit auch er erschrecken, faszinieren, zerstören, vernichten und dabei doch immer in Sicherheit bleiben könnte - daß er alles tun dürfte und ihm doch jegliche Tathandlung verboten bliebe, damit die Babuschka zu Hause die Holzkohle weiter und weiter rotglühend und schwarz werden lassen konnte, wenn auch die Clowns die ganze Stadt um sie herum in die Luft jagten, und nichts würde sich wirklich verändern. Nichts. Die explodierten Häuser würden unwirklich wie Seifenblasen in die Luft emporschweben und sanft wieder an ihren alten Ort zurückwehen, genau dahin, wo sie vorher schon gestanden hatten. Die Körper würden sich winden, an den Gelenken auseinanderfahren, sich in ihre Gliedmaßen zerlegen - dann ihre einzelnen Teile aufheben, um mit ihnen zu jonglieren, ehe sie wieder an dieselbe Stelle geheftet würden: vollzählig angetreten! Zu Befehl!
    Dann würde man’s wissen, dann hätte man den Beweis dafür gesehen, daß die Dinge immer bleiben würden, wie sie je gewesen waren, daß die Katastrophe keine Folgen hat, daß das Chaos die Stasis beschwört.
    Es war, als hätte jedem Clown bei der Geburt eine Fee eine paradoxe Gabe zuteil werden lassen: Du kannst tun, was immer du willst, solange es niemand

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