Nächte im Zirkus
wie gerne sie jemand zum Gefährten, zum Komplizen hätte, jemand anderes mit ihr im Ring, nicht einen Stallknecht, nicht einen Wärter, jemand, dem sie traute, jemand, der während dieses gespannten Augenblicks die Katzen im Auge behielte, wenn sie die Aufforderung zum Tanz, die Einladung zum Walzer spielte und sich dabei fragte, ob heute vielleicht unter allen Tagen der gekommen sein mochte, wo sie ihre Einladung ablehnen würden. Ob nicht heute, nach all den Nächten ihres gemeinsamen Abkommens, die Katzen nicht eine nach der anderen der Musik erliegen und herabsteigen und den Tanzpartner wählen würden, sondern...
Sie hatte immer ein Gewehr auf dem Klavier liegen, für alle Fälle, und das war nicht mit Platzpatronen geladen.
Trotzdem lebte sie in engster Vertraulichkeit mit ihren Katzen und nistete selbst zum Schlafen neben ihren Käfigen in einem Ballen frischen Strohs. Sie wusch ihnen die Augen mit Borsäure und Argyrol aus, um Entzündungen zu verhüten. Sie rieb ihnen Salbe in die empfindlichen Füße. Aber sie lächelte ihre Katzen nie an, denn der Pakt zwischen ihnen war kein freundlicher, er diente der Vermeidung von Feindseligkeiten, nicht der Förderung von Freundschaft. Und immer schwieg sie; wie zu Kindern hätte man zu der Prinzessin sagen können: »Hat die Katze deine Zunge geholt?« Denn zeitig in ihrer Laufbahn hatte sie bemerkt, wie sie hinten im Rachen knurrten und die Ohren anlegten, wenn sie die menschliche Sprache hörten, welche ihnen die Natur versagt hatte.
Gerüchte wollten wissen, sie sei selbst das Ziehkind einer Tigerin, im Dschungel verlassen und von wilden Bärinnen gesäugt. Aber bei Marseille gibt es keinen Dschungel. Da sie nie etwas sagte, bestritt sie die Geschichten nicht. Der Colonel setzte sie großzügig in Umlauf.
Bei den seltenen, zufälligen Gelegenheiten, wenn sie einen anderen Menschen in ihr Bett im Stroh neben den schlafenden Tigern mitnahm, liebten sie sich immer im Dunkeln, denn ihr Leib war - Zoll um Zoll - mit Krallennarben übersät, wie eine Tätowierung. Dies war der Preis, den sie sie für ihre Zähmung zahlen ließen.
Jetzt vermengt sich das brutzelnde Parfum von gebratenen Würstchen und Speck mit den schweren Gerüchen von Kot, Fleisch, Brot und wilden Tieren im Hof. Die Kochbude - ein Herd, eine Theke - hat aufgemacht und serviert (dem Himmel sei Dank! rufen die Stallburschen) anständiges britisches Frühstück.
Als der Starke Samson ankam - die russischen fliegenden Händler stieß er mit xenophoben Verwünschungen beiseite -, um sich seinen Morgenkaffee mit dicker Butterstulle zu holen, mußte er sich die Spötteleien der Arbeiter gefallen lassen, die auf ihren Schinkenbroten herumkauten und ihn damit aufzogen, daß er (wie der rasch zirkulierende Zirkusklatsch wußte) seine Inamorata an einen Clown verloren hatte. Samson sagte kein Wort davon, daß er Mignon der Gnade des entlaufenen Tigers überlassen hatte, und daß dann der Clown gekommen war, im Gegenteil, er prahlte (und ließ dabei seine glänzenden Muskeln spielen), was er mit diesem Bastard von einem Clown anstellen würde, wenn er ihm in die Finger käme - und sein Stolz war tatsächlich dadurch verletzt, daß Mignon ihrem Retter hinterher nach Clown Alley gelaufen war. Bei all dem Gerede hatte Mignon die Rolle der Frau: Ursache von Streit zwischen Männern zu sein. Wie sonst könnte sie, für diese Männer, eine wirkliche Rolle in ihrem Leben spielen?
Der Colonel nimmt schwungvoll seinen steifen Hut ab - zufrieden, planend, begeistert -, als Fevvers vorbeistapft und nicht im geringsten aussieht wie Gummi, sondern durchaus wie Fleisch für den Prince of Wales, diesen Kenner. Ihr Gang ist so unschön wie der einer unberittenen Walküre, doch ihre erstaunlichen Kurven verheißen Genüsse, von denen der Colonel des öfteren träumt.
Lizzie, die mit ihrer Handtasche dahertrottete, welche aussehen mochte wie die einer Hebamme oder einer Engelmacherin, warf dem Colonel einen haßerfüllten Blick aus irgendwelchen unergründlichen Tiefen sizilianischer Bosheit zu. Der Colonel selbst betrachtete diese Kammerzofe als das Hindernis zwischen sich und einem intimen diner à deux mit der Trapezkünstlerin, das zu weiterem führen könnte, zu weiterem... Yessir!
Er stieß bei diesem Gedanken eine lange Rauchfahne von sich und preßte Sybil so enthusiastisch an sich, daß sie schrill aufquiekte.
Lizzie hielt an und warf dem Zigeunergeiger eine Kopeke zu, der sich mit einem Schwall
Weitere Kostenlose Bücher