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Nächte im Zirkus

Nächte im Zirkus

Titel: Nächte im Zirkus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Angela Carter
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ernst nimmt.
    Buffo nähte Schellen an eine dreizipflige Narrenkappe für seinen jüngsten Lehrling: »damit er’s nicht rieseln hört, wenn das Hirn ausläuft«.
    Klein-Iwan mit seiner Narrenkappe rollte in Purzelbäumen durch die Manege, als wollte er sich endgültig vom aufrechten Gang emanzipieren, bis er mit Buffo zusammenstieß, der in Gegenrichtung durch die Manege purzelte. Dann wurde er verprügelt, weil er im Weg war, und mindestens fünf Minuten lang überlegte er sich es noch einmal, ob er wirklich mit dem Zirkus fortlaufen sollte - aber auch während er schmollend, Daumen im Mund, in der ersten Reihe saß, konnte er den Blick nicht von den Komödianten wenden.
    Buffo dachte sich eine Nummer speziell für Walser aus, der nun keinen Handstand mehr machen konnte.
    »Kräh wie ein Hahn.«
    »Kikeriki!« sagte Walser gehorsam.
    »Kikerikiski!« verbesserte Buffo, als kleinen Tribut an den Herrscher aller Reußen. »Schlag mal ein bißchen mit den Armen.«
    »Kikerikiski!« Walser spielte mit, stellte sich auf die Zehenspitzen und flügelte mit seinen Armen umher, so gut es mit der Schlinge ging.
    »Damen und Herren, Jungs und Mädels -«, intonierte Buffo, »ich habe hier -: das menschliche Hähnchen! Da habt ihr ihn!«
    Grik fand ein Ei - nicht mehr ganz frisch - in seiner Geige und klatschte es Walser zwischen die Augen. Buffo krächzte beifällig. Grok entdeckte ein paar Eier im Bauch seines Tamburins. Unter Schreien begeisterten Hohnes taten es alle Clowns ihnen nach und zogen blitzschnell Eier aus verschiedenen Teilen ihrer Kleider und Körper hervor, mit denen sie Walser bewarfen, bis ihm Kaskaden von Ei über das Gesicht liefen und ihn blendeten. Grik und Grok stimmten »Was gleicht wohl auf Erden dem Jägervergnügen« auf ihren Instrumenten an. Klein-Iwan dachte, wie viele Pfannkuchen wohl seine Oma mit all diesen Eiern hätte bereiten können, die nun das Sägemehl bekleckerten, aber lange dachte er nicht daran, weil er zu sehr lachen mußte, um zu denken.
    Walsers unsichtbare Quälgeister fegten ihre seidenen Rockschöße zur Seite, wenn er sie zu packen suchte, ließen ihn über ihre langen Schuhe stolpern, schoben ihm die Stelzen in den Weg, um ihn zu stürzen. Als er das Lachgeschrei des kleinen Iwan hörte, stieg die Wut in ihm auf. Was zum Teufel war hieran so komisch? Und er schlug blindlings um sich, er wußte nicht, wohin.
    Später erzählten sie ihm, daß seine ohnmächtigen Gesten der Wut das Komischste gewesen seien, während sie ihn mit Schlägen und Spottrufen durch das Manegenrund trieben - seine ohnmächtigen Gesten der Wut und die komische Wunde.
    Von nun an wird Walser einen Hahnenkamm tragen. Und Buffo beschloß, nachdem er sich eine Weile nachdenklich das große, eckige, weiße Kinn gerieben hatte, daß das menschliche Hähnchen umgehend auf dem Menü des Weihnachtsessens der Clowns stehen sollte, mit seinem Kamm und seinem Krähen.
    Walsers neuer Beruf begann gewisse Anforderungen an ihn zu stellen.
    Indessen machte Fevvers in der Menagerie lebhafte, wenn auch einseitige Konversation mit der Prinzessin, in krassem Französisch.
    »Quelle chantuhse!« sagte sie. »Quelle spectacle!«
    Die Prinzessin mit ihrer blutfleckigen Schürze öffnete ein Käfiggitter und schleuderte einen halben Metzgerladen hinein. Die Tiger warfen sich auf das Festmahl, knurrend und sich in ihrer Gier gegenseitig mit Prankenhieben hinter die Ohren wegdrängend. Die Prinzessin sah ihnen zu, und ihr dunkles Gesicht war das der Kali und der Duft um sie stark genug, scharf und durchdringend genug, um eine unsichtbare Schranke zwischen ihr und allen anderen, die kein Fell trugen, zu errichten. Fevvers wußte, daß diese Frau ein harter Brocken war. Sie ließ sich nicht entmutigen.
    »Elle s’appelle Mignon. C’est vachemant chouette, ça.«
    Mignon lehnte sich an Fevvers’ Schulter und folgte mit abwesendem Blick den Bewegungen von Stäubchen im Licht; sie wußte nicht, daß sie Gegenstand der Unterhaltung war. Wenn ihr neues rotes Kleid mit den militärisch wirkenden Schnurbesätzen ein wenig an die Uniform der Portiers des Hotel de l’Europe erinnerte, dann deshalb, weil es genau das bis sechs Uhr an diesem Morgen noch gewesen war. (»Ach was, hier ein Stich, da eine Naht, und es paßt ihr perfekt. Macht dir doch nichts aus, mein Guter?«) Lizzie hatte ihr das blonde Haar in Zöpfen hochgesteckt. Sie sah aus wie eine Pfarrerstochter, nicht wie die Vagabundenwaise eines Mörders.
    Die Prinzessin sah

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