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Nächte in Babylon

Nächte in Babylon

Titel: Nächte in Babylon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Depp
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weitergearbeitet.«
    »Mit solchen Kerlen bin ich aufgewachsen. Ein paar von der Sorte kenne ich heute noch. Was ist aus ihm geworden?«
    »Eines schönen Sonntags ist er nach dem Frühstück hinter den Stall gegangen und hat sich die Kehle durchgeschnitten. Ohne besonderen Grund. Oder wenn es doch einen gab, hat ihn jedenfalls nie einer erfahren. Er hat noch nicht mal einen Abschiedsbrief hinterlassen. Das wäre ihm wohl zu melodramatisch vorgekommen. Ich war damals zehn. Erst viel, viel später habe ich erkannt, dass er einfach innerlich versteinert war und damit nicht leben konnte. Irgendwann reichte die Härte bis in sein Herz. Das war das Ende.«
    »Ist das wahr?«, fragte Spandau.
    Anna lächelte. »Doch, mein Vater hat sich tatsächlich den kleinen Finger abgetrennt, aber in einer Autotür. Und er war Toyota-Händler in Waco, bis er im Schlaf an einem Herzinfarkt gestorben ist. Zu viele T-Bone-Steaks.«
    »Sah er wenigstens aus wie Randolph Scott?«
    »O ja. Bis zu der kleinen Kerbe im Kinn.«
    »Trotzdem, keine schlechte Geschichte.«
    »Nur leider nicht sehr erbaulich.«
    »Was Sie nicht sagen.«
    Sie sahen sich an. Sie wollte ihn küssen. Sie wollte, dass er von ihr geküsst werden wollte. Aber dafür hätte sie einen Schritt auf ihn zugehen und sich auf die Zehenspitzen stellen müssen, und sie hätte eine Erklärung gebraucht, was ihre Hände so plötzlich in seinem Nacken verloren hatten. Alles wäre sehr viel einfacher gewesen, wenn dieser Trampel einfach sie geküsst hätte, aber er machte keinerlei Anstalten dazu, und seine Miene konnte sie nicht deuten. Dieses zerschundene, traurige Gesicht. Über viele Jahre hinweg hatte sie die Männer haufenweise in die Wüste geschickt, und nun konnte sie dieses Exemplar der Gattung noch nicht mal dazu bringen, auch nur einen einzigen Schritt auf sie zu zu machen.
    Während sie ihm nachblickte, reihte sich vor ihrem inneren Auge eine einsame Nacht an die andere, bis zu ihrem Lebensende.
    Als er gerade in den Wagen steigen wollte, kam Pam hinter ihm her und sagte: »Ich habe eben im Krankenhaus angerufen. Ihrem Freund geht es gut. Morgen schicken wir ihm einen der besten Schönheitschirurgen vorbei. Der soll ihn sich mal ansehen.«
    »Danke. Seine Frau und er haben ein kleines Kind …«, fügte er hinzu, als ob damit alles gesagt wäre. »War Ihr Vater tatsächlich Toyota-Händler in Waco?«
    »Der im Schlaf gestorben ist, weil er zu viele Steaks vertilgt hat? Das ist Annas PR -Version. Nein, Dad hat sich umgebracht, als ich acht war. Anna hat sich deswegen immer geschämt, als ob es ein Makel wäre, der ihr anhaftet. Hat sie Ihnen Märchen aufgetischt?«
    »So in etwa.«
    »Das kann sie gut. Es war schon immer ihr größtes Talent, sich eine eigene Welt zusammenzuspinnen und alle anderen mit hineinzuziehen.«
    Spandau stieg ein. Er winkte den Marines, das Tor ging auf, und er fuhr nach Hause.

17
    Nachdem Perec in Beverly Hills endlich das Geschäft gefunden hatte, nach dem er suchte, ging er erst einmal eine halbe Stunde davor auf und ab, bevor er sich ein Herz fasste und eintrat. In den Regalen prangten die unterschiedlichsten Perücken. Der Verkäufer war ein kleiner Mann undefinierbaren Alters, der mit seinen dünnen, nach hinten geklatschten Strähnen eine Zweitfrisur selbst gut hätte gebrauchen können; stattdessen hatte er sich die schuppigen Haare nur pechschwarz gefärbt. In seinen Mundwinkeln klebte getrockneter Speichel.
    »Kann ich Ihnen behilflich ein?«, fragte er und musterte Perec über die Theke hinweg mit angeekeltem Blick.
    »Ich möchte eine Perücke.«
    »Für Sie selbst?«
    »Nein. Für meine … für eine Freundin.«
    »Am besten bringen Sie Ihre Bekannte mit, damit wir sie ihr anpassen können.«
    »Es soll eine Überraschung sein.«
    »Wissen Sie ihre Größe?«
    »Was?«
    »Die Größe. Was für einen Kopfumfang hat sie?«
    »Keine Ahnung.« Perec lief rot an, ihm wurde übel.
    »Vielleicht«, sagte der Verkäufer von oben herab, »könnte man Ihnen in einem anderen Geschäft besser weiterhelfen.«
    »Nein.« Perec zeigte auf eine Perücke. »Ich nehme die da.«
    »Die Anna Mayhew?«
    »Ja.«
    »Und die Größe wäre …?«
    »Meine. So groß wie mein Kopf.«
    »Möchten Sie sie anprobieren?«
    »Ja«, sagte Perec und lächelte.
    Der Verkäufer holte ein Maßband heraus und maß Perecs Kopfumfang. Dann verschwand er hinten im Lager. Ein paar Minuten später kam er mit einer Schachtel wieder zurück. Er nahm die honigblonde Perücke

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