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Nächte in Babylon

Nächte in Babylon

Titel: Nächte in Babylon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Depp
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Perücke die Haare zu schneiden?«
    Perec sah sie wortlos an.
    »Ach was, scheiß drauf«, sagte sie und zuckte mit den Schultern.
    Chanterelle nahm auf dem Stuhl vor dem kleinen Schreibtisch Platz, mit dem Gesicht zur fleckigen Wand. Ohne sich zu bewegen, blieb Perec eine ganze Weile hinter ihr stehen und starrte auf ihren Hinterkopf. Schließlich streckte er die Hand aus und streichelte das blonde Haar. Ihm wurde schwindelig, sein Atem ging schneller.
    »Wenn du abspritzen musst, mach es ins Kleid, okay? Ich will nicht hinterher deine Soße im Nacken haben.«
    Perec holte das Rasiermesser heraus. Er klappte es auf, verharrte noch eine Sekunde in andächtiger Scheu, nahm eine Strähne und begann zu schneiden. Chanterelle spürte das leichte Zupfen, aber sie wartete vergeblich auf das Klappern einer Schere oder das Brummen einer elektrischen Haarschneidemaschine.
    »Sag mal, was treibst du da eigentlich? Das ist doch keine Schere. Womit schnippelst du da an mir rum, zum Henker?«
    Sie fuhr herum, sah das Rasiermesser in seiner Hand und sprang vom Stuhl.
    »Ich glaub, es hackt. So haben wir aber nicht gewettet. Steck sofort das Ding weg.«
    »Ich will es aber damit machen.«
    Schnell sagte Chanterelle: »Okay, Schätzchen. Ich muss mich bloß erst wieder einkriegen. Vor Schreck hätte ich mich jetzt fast bepinkelt. Ich verschwinde mal eben aufs Klo. Bin gleich wieder da, okay?« Sie verzog sich mit ihrer Handtasche ins Badezimmer, schloss hinter sich ab, wühlte ihr Handy raus und rief Special an.
    Special war an einen Tisch umgezogen. Vor sich hatte er einen Teller mit Calamari fritti und im Ohr Frederica von Stade mit einem »Lied aus der Auvergne« von Canteloube. Dabei blätterte er in der Opera Times . Ein Gespräch mit Domingo über die geplante Aufführung des gesamten »Ring«-Zyklus an der Oper in L. A. Special, der das Monsterwerk bisher lediglich auf DVD gesehen hatte, fragte sich, ob er wohl tatsächlich Manns genug wäre, sich sechzehn Stunden Krautoper am Stück anzutun. Als wahrem Opernliebhaber blieb ihm wahrscheinlich gar nichts anderes übrig, aber damit hätte er es dann auch ein für allemal hinter sich. Die Hinterzimmertür ging auf, der Mann warf einen prüfenden Blick in die Runde und winkte Vito an sich vorbei, der eine zum prallen Päckchen zusammengerollte, oben zugetackerte Einkaufstüte in der Hand hatte. Seine ernste Miene hätte Special normalerweise zu denken gegeben, wenn er wegen des Wagner-Artikels nicht so aus dem Häuschen gewesen wäre.
    Als Vito an ihm vorbeikam, sagte Special: »Du, die schreiben hier, dass …«
    »Später, später.« Vito verließ eilig die Kneipe. Special hatte sich kaum wieder über die Opera Times gebeugt , als draußen Bremsen kreischten. Es gab einen dumpfen Knall. Er sprang auf und lief zur Tür. Vito lag mitten auf der Straße. Ein Auto, das mehrere Mülltonnen umgepflügt hatte, war, halb vom Abfall verschüttet, auf dem Bürgersteig zum Stehen gekommen. Mit wenigen Schritten war Special bei seinem Freund. Obwohl Vito offensichtlich tierische Schmerzen hatte, hielt er die Papiertüte fest umklammert.
    »O Mann«, sagte Special. »O Scheiße.«
    Vito, der am ganzen Körper zitterte, bedeutete Special, sich zu ihm runterzubücken, und stöhnte: »Die Tüte!«
    »Was?«
    »Die Tüte, verdammt! Gleich sind die Bullen hier. Du musst die Lieferung zu Jimmy Constanza bringen. Kapiert? Nun mach schon!«
    Special nahm die Tüte an sich.
    »Und jetzt zieh Leine.« Vito ließ den Kopf sinken und fing an zu weinen. Vor dem Unfallwagen lief ein Rabbi auf und ab, der laut auf Hebräisch vor sich hin schimpfte und hektisch auf seinem Handy herumdrückte.
    Aus der Ferne näherte sich Sirenengeheul. Special machte sich langsam und bedächtig auf den Weg zu seinem Auto. Nachdem er um die Ecke gebogen war, konnte er der Versuchung nicht widerstehen, einen kleinen Blick in die an einer Stelle aufgerissene Tüte zu riskieren. Ein dickes, fettes Geldbündel. Special schluckte. Er überlegte krampfhaft, wo Jimmy Constanza normalerweise abhing, denn er musste sich diese Dollars so schnell wie möglich vom Hals schaffen. Die Idee, sie einfach wieder in die Kneipe zurückzutragen, konnte er sich abschminken. Bei den Jungs aus dem Hinterzimmer würde er sich garantiert nicht sehr beliebt machen, wenn er mit ihrem Geld hereinspaziert kam, während es draußen von Bullen nur so wimmelte. Er war so in seine Gedanken vertieft, dass er, als sein Handy klingelte, automatisch ranging.

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