Nächte in Babylon
wahrgenommen hatte.
Während Spandau wartete, blieb ihm viel Zeit zum Nachdenken. Wenn Walter ihn deshalb nach Frankreich geschickt hatte, war sein Plan aufgegangen. Er trank nicht mehr, höchstens ein Glas Wein zum Essen. Er schlief durch, er aß ausreichend, er kam viel an die frische Luft. Manchmal schwamm er abends noch ein paar Bahnen. Er hatte keinen Stress, alles war easy – bis auf das Verhältnis zu Anna. Vignon hatte zwei Männer engagiert, die die Villa bewachten und ihnen in diskretem Abstand überallhin folgten. Dass sie echte Profis waren, ließ Spandau seine eigene Nutzlosigkeit noch deutlicher spüren.
Trotzdem war er froh, dass er mitgekommen war. Die Distanz zu L. A. tat ihm gut, das erkannte selbst er. Wäre er geblieben, hätte er in seiner Verzweiflung womöglich noch sich selbst oder jemand anderem etwas angetan. Obwohl er sich so billig vorkam wie ein ausgehaltener Loverboy, war es nicht zu vergleichen mit dem Selbsthass, den er empfunden hatte, nachdem er Dee an die Kehle gegangen war. Von Tag zu Tag fand er mehr zu sich selbst.
Es war der Premierenabend von Andreis neuem Werk Das Weiße Quadrat , das von dem Konstruktivisten Kasimir Malewitsch handelte. Da er – zum ersten Mal überhaupt – auf Französisch gedreht hatte, konnten sie sich auf englische Untertitel freuen. Anna war sich zunächst nicht sicher gewesen, ob sie Andrei, nachdem sie seine Eier flambiert hatte, tatsächlich auf der großen Galapremiere begegnen wollte. Andererseits musste sie sich den Film, der bereits einiges an Vorschusslorbeeren eingeheimst hatte, so oder so ansehen. Außerdem hatte sie Lust, mal wieder einen draufzumachen und Andrei mit ihrem Anblick auf die Palme zu bringen.
Spandau kramte seinen Smoking wieder hervor, Anna trug einen Hauch von Goldlamee und legte ihren prächtigsten, funkelndsten Schmuck an. Sie hatte nicht die Absicht, sich von irgendwem die Show stehlen zu lassen.
Spandau hatte schon etliche Premieren miterlebt, aber auf das, was ihn hier erwartete, war er nicht gefasst gewesen. Das Palais in Cannes – größer oder glanzvoller ging es nicht. Und Andrei, der Liebling der Festspiele, hatte diesmal einen französischen Film mit berühmten französischen Schauspielern gedreht. Als Thierry auf die Croisette einbog, waren die Straßen schon mehrere Hundert Meter vor dem Festivalpalast von Menschen gesäumt. Das Gedränge wurde immer dichter. Thierry reihte sich in die Schlange der Limousinen ein, die ihre Stars vor dem roten Teppich auswarfen.
Während sie warteten, wurden sie sofort von Fans umringt, die sich unter Geschiebe und Gestoße an den Wagen herankämpften, um einen Blick durch die getönten Scheiben zu erhaschen. Es interessierte sie nicht weiter, wer darin saß, solange es nur ein Prominenter war. Spandau kam sich vor wie in einem langen, gedämpften Drogenrausch.
»Du großer Gott«, ächzte er, als der Wagen vor dem Teppich hielt.
»Bleib einfach hinter mir«, sagte Anna. »Mach genau das, was ich auch mache. Und immer schön ruhig bleiben. Hier hat es keiner eilig.« Sie rutschte schon einmal an die Sitzkante hinüber, um dem Wagen möglichst elegant entsteigen zu können.
Und dann ging die Tür auf.
Als Erstes schlägt einem der Lärm entgegen.
Man hat ihn schon während des langsamen Vorfahrens gehört, aber man ist so gebannt von den neugierigen Gesichtern auf der anderen Seite der Scheibe, dass man nicht weiter darauf achtet. Außerdem dringt er nur wie aus weiter Ferne herein. Doch dann geht die Tür auf, und es ist, als ob man gegen eine Lärmwand prallt. Wie ein Überschallknall erfüllt der Krach den Wagen, dass man Angst bekommt, hinausgeschleudert zu werden. Es ist ein Getöse, wie man es noch nie im Leben gehört hat, und genau das ist das Schlimmste daran. Wenn man Zeit hätte, darüber nachzudenken, könnte man das Klicken der Kameras unterscheiden, das Ploppen der Blitzlichter, das dumpfe Brüllen der Masse, die spitzen Schreie in nächster Nähe, die von der Medienmeute abgefeuerten Fragen, die hinter einem auf der Straße vorbeifahrenden Autos, die eine oder andere Hupe.
Ja, der Lärm überwältigt einen als Erstes und treibt einem schon den Angstschweiß auf die Stirn, bevor man ausgestiegen ist. Man rutscht an den Rand des Sitzes, aber für einen großen Mann gibt es keine Möglichkeit, elegant auszusteigen. Man stellt einen Fuß auf die Erde, man versucht, sich durch die Öffnung zu ducken, ohne sich den Schädel anzuschlagen oder die Haare zu
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