Nächte in Babylon
wurde. Applaus ist was Feines, aber dieser Film war bares Geld wert – und nicht zu knapp.
Anna wich Spandaus Blick aus. Hatte sie feuchte Augen? Schweigend gingen sie zum Wagen. Stumm saß sie neben ihm, während Thierry auf eine Lücke ihm Verkehr wartete. Spandau brannte darauf, mit ihr über den Film zu reden und zu erfahren, ob er ihr genauso gut gefallen hatte wie ihm. Manche Filme gingen einem wirklich unter die Haut. Manche Filme konnten das eigene Denken und sogar das eigene Leben verändern.
Spandau ahnte, dass er ein Werk gesehen hatte, das von Bestand sein und noch Generationen von Filmstudenten beschäftigen würde. Er musste wissen, was Anna dachte. Ob sie genauso überwältigt war wie er. Ob auch sie das Gefühl hatte, einen Diamanten auf einem Misthaufen gefunden zu haben, das eine Juwel, das alle Verheißungen des Kinos erfüllt.
»Der Mistkerl«, sagte sie leise.
Da hatte Spandau seine Antwort.
4
Es war Mittag, und im Café des Hotels Moroni in Nizza drängten sich die Festivalbesucher – zumindest diejenigen, die sich das Majestic oder Carlton nicht leisten konnten. Das Personal wirkte genauso angestaubt wie die Inneneinrichtung, und man wurde das Gefühl nicht los, dass irgendwo im Hintergrund schon eine Rentnergang von Stammgästen darauf lauerte, die an die saisonalen Invasoren verlorenen Stellungen zurückzuerobern. Das unter Denkmalschutz stehende Gebäude wurde als nationales Kulturgut verehrt – aber das Gleiche galt auch für Jacques Tati.
Spandau ließ sich von Thierry vor dem Hotel absetzen. Als er das Café betrat, saß Vignon vor einer Tasse Kaffee und blickte müde auf den steinigen Strand jenseits der Promenade des Anglais hinaus. B-Film-Produzenten, die jedes Mal besorgt die Stirn runzelten, sobald ihre üppig bestückten Gespielinnen einen Blick auf die kostspieligere Seite der Speisekarte riskierten, ließen sich von ältlichen Kellnern geschmacksneutral heruntergekühlte Meeresfrüchte servieren. Vignon hob kurz den Kopf, als Spandau sich zu ihm setzte, dann starrte er wieder aus dem Fenster. Ein Kellner fragte Spandau auf Englisch nach seinem Getränkewunsch. Zur Strafe bestellte der ein Budweiser, das sie unter Garantie nicht führen würden. Es ärgerte ihn, dass er, obwohl er kein Wort von sich gegeben hatte, automatisch in die Ausländerschublade gesteckt wurde. Dass er seine Herkunft ohnehin nicht hätte verbergen können, weil er dafür dem Klischee des Bilderbuch-Amis viel zu sehr entsprach, machte die Sache auch nicht besser. Und da er nun einmal gern Amerikaner war, ärgerte es ihn erst recht. Was vielleicht auch daran lag, dass er sich hier ungefähr genauso heimisch fühlte wie ein Kandelaberkaktus auf dem Times Square. Man will eben nicht immer der Außenseiter sein. Manchmal möchte man einfach nur dazugehören, und sei es als stinknormale Birkenfeige. Als der Kellner zurückkam und ihm als Alternative ein Löwenbräu anbot, bestellte Spandau das, wonach ihm sowieso von Anfang an der Sinn gestanden hatte: einen Eistee.
Zu Vignon sagte er: »Können Sie mir noch mal verraten, was wir hier eigentlich sollen?«
»Das war Annas Idee. Sie möchte, dass wir uns vertragen. Dass wir die Kriegsaxt begraben.«
»Beil«, korrigierte Spandau. »Es heißt Kriegsbeil.«
»Sie hat aber Axt gesagt«, beharrte Vignon.
»Garantiert.«
Der Eistee kam. Als Spandau sich ein paar Tropfen Zitrone hineinpresste, bekam Vignon einen Spritzer ins Auge. Obwohl er ihn nicht mit Absicht getroffen hatte, konnte Spandau sich die Schadenfreude nicht ganz verkneifen, als sich sein Gegenüber blinzelnd mit der gestärkten Stoffserviette am Auge herumtupfte.
»Und was haben Sie ihr geantwortet?«
»Dass wir uns vollkommen einig sind«, sagte Vignon und kniff ein paarmal das Auge zu. »Insofern, als unsere Abneigung auf Gegenseitigkeit beruht.«
»Gut erkannt. Und warum sind wir dann bitte schön trotzdem hier?«
»Zum Beweis unserer Professionalität«, sagte Vignon.
»Zur Besänftigung der Auftraggeberin, die mit Kündigung droht«, sagte Spandau.
»Wissen Sie, warum ihr Amerikaner so unbeliebt seid?«, fragte Vignon.
»Weil wir mehr Kohle haben?«, fragte Spandau zurück.
»Mehr Kohle hatten , meinen Sie wohl. Mittlerweile kümmern sich ja die Chinesen um euer Geld. Und die EU hat euch auch am Wickel. Nein, darum nicht, sondern weil ihr nicht über das emotionale Alter eines Fünfzehnjährigen hinauskommt. Ihr seid wie pickelige Pubertierende am Steuer eines Maserati. So
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