Nächte in Babylon
über sie an die Schauspieler herankommt, die er vielleicht bei einem späteren Projekt gebrauchen kann. Davon mal abgesehen, bekommt sowieso eine ihrer Klientinnen die Rolle. Und was ist bei diesem Meeting für mich rausgesprungen? Dass der Regisseur, der Produzent und der Rest der Welt jetzt wieder wissen, dass es mich noch gibt und dass ich doch nicht so eine gebrechliche Greisin bin, als die mich die Illustrierten immer hinstellen. Über zwei Dinge spricht man als Künstler sowieso nie: über Verträge und über Geld. Nie. Dafür hat Gott die Agenten und Produzenten erschaffen. Sie ziehen sich in ein stilles Kämmerlein zurück und fallen hinter verschlossenen Türen wie die Kampfhunde übereinander her, um uns sensiblen Seelchen diesen Anblick zu ersparen. Dabei würde ich eigentlich ganz gern mitmischen. Ich habe gern das Heft in der Hand, auch wenn hin und wieder ein bisschen Blut fließt.«
Sie war der Schauspielerei noch immer mit Leib und Seele verfallen. Anna wollte ein Star sein, auch wenn sie sich über sich selbst mokierte. Sie konnte nichts dagegen tun. Ohne ihren Beruf war sie wie ein Fisch auf dem Trockenen. Je mehr sie sich für ihr Thema erwärmte, desto deutlicher erkannte Spandau, dass er seine Gefühle für sie im Zaum halten musste. In ihrer Welt gab es keinen Platz für ihn. Wenn niemand verletzt werden sollte, war es das Beste, das Feld zu räumen. Job erledigen, Klappe halten und allein nach Hause fliegen.
»Jedenfalls gelten bei solchen Besprechungen genauso strenge Regeln wie bei den japanischen Teezeremonien, die wir vorhin im Film gesehen haben. Jeder weiß, was er zu tun hat. Ich lächle, ich verneige mich – und ich bete, dass ich mir auf den synthetischen Sitzkissen nicht den Rock durchgeschwitzt habe.«
Was dem Außenstehenden wie eine endlose Party erscheint, ist in Wahrheit ein Basar für Filme – und Karrieren. In Cannes geht es weniger um die Kunst des Kinos als vielmehr um die Kunst des Kungelns. Wie könnte es auch anders sein? Es ist die geballteste Medienansammlung der Welt. Keine andere Veranstaltung der Branche ist auch nur annähernd damit zu vergleichen.
Treu der Devise »Sehen und gesehen werden« hatte Annas Agentin für sie so viele Meetings mit Regisseuren und Produzenten wie nur irgend möglich organisiert. Doch es war nur eine Frage der Zeit, wann es mit solchen Terminen ein Ende haben würde. Früher oder später würde sie Däumchen drehend zu Hause sitzen und auf einen Anruf warten. Cheryl stieß mit ihren Überredungskünsten schon jetzt an ihre Grenzen. Es war überhaupt ein Wunder, dass sie sich noch so für sie abstrampelte. Auf die Dauer konnte Anna nicht auf ihre Loyalität zählen. Es ging ums Geschäft und sonst gar nichts. Das wusste jeder. Um ihre wachsende Verzweiflung in Schach zu halten, war Anna gern bereit, von Besprechung zu Besprechung zu hetzen, um ringsum Küsschen zu verteilen und banale Gespräche zu führen.
Sie besuchten auch weiterhin die Matineevorführungen. Ausgeschlafen und ausreichend mit Kaffee abgefüllt, lief man weniger Gefahr, mittendrin einzunicken. Sicher, es gab auch Filme, die einen wach hielten, aber die meisten nahmen sich einfach viel zu wichtig. Immer wieder die gleiche tiefsinnig gemeinte Düsternis, die, wenn man sie oft genug gesehen hatte, nur noch lähmende Schläfrigkeit auslöste. Sogar die Gewalt wirkte stilisiert, langweilig, stereotyp.
Spandau sehnte sich nach einem Film, bei dem man auch lachen konnte. Diese bierernsten Streifen gaben sich einen realistischen Anstrich, zeigten aber dadurch, dass sie vollkommen humorlos daherkamen, auch nur einen verzerrten, unehrlichen Blick auf die Welt. Spandau musste an seine Kindheit denken, an die Familienhölle auf Erden, die sein gewalttätiger Vater ihnen bereitet hatte. Bei allen Prügelexzessen war es das Lachen gewesen, das manchmal unerträglich traurige, gemeinsame Lachen, dem es seine Schwester, seine Mutter und er verdankten, dass sie nicht den Verstand verloren hatten.
Wenn Spandau nicht gerade in einem dunklen Kinosaal gegen die Müdigkeit ankämpfte, während sich ein junges Regietalent nach dem anderen an der künstlerischen Auseinandersetzung mit Erfahrungen abarbeitete, die es nie selbst gemacht hatte, hing er auf Meetings herum, auf denen nichts gesagt werden durfte, oder er saß mit einem Buch am Pool und wartete auf Anna, die oben in der abgeschotteten Hotelsuite über die Qualität von Filmen diskutierte, die sie nur im Halbschlaf
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