Nächte in Babylon
ermordet. Noch bevor die letzte Spule eingelegt worden war, hätte Spandau seinem Leben am liebsten ebenfalls ein Ende gesetzt. Der Abspann lief, das Licht ging an.
Spandau hätte Anna zu gern nach ihrer Meinung über den Film gefragt. Aber sie durfte ja nicht darüber reden. So sehr es ihn auch frustrierte, sie machte ein Pokerface und verriet mit keinem Blick, wie ihr der Streifen gefallen hatte. Dabei hatte ihm das immer am meisten Spaß gemacht, wenn er früher mit Dee ins Kino gegangen war: hinterher gemütlich bei einer Pizza zu sitzen und den Film in seine Einzelteile zu zerlegen. Und das war nur eine von vielen Gemeinsamkeiten, die ihm fehlten. Inzwischen ging er mit Filmstars ins Kino und konnte noch nicht einmal über den Film sprechen.
Spandau war ein großer Filmfan. Er hatte jahrelang als Stuntman gearbeitet, ein Beruf, an dem sein Herz hing – zumindest solange er noch ein paar heile Knochen im Leib hatte. Doch mit seiner Begeisterung für alles Cineastische stand er ziemlich allein da. Für alle anderen schien die ungeschriebene Regel zu gelten, dass man, wenn man in der Branche tätig war, keinen Spaß am Filmemachen haben durfte. Sogar hier, auf dem berühmtesten Filmfest der Welt, liefen sie herum wie Todgeweihte – wenn sie nicht gerade Party machten oder mit irgendeinem Projekt hausieren gingen. Doch auch den Festen haftete etwas Gezwungenes, Manisches an – wie in dem Klassiker Das letzte Ufer , in dem die Leute feiern, um zu vergessen, dass die atomare Wolke unaufhaltsam auf sie zutreibt.
Nach dem Film hatte Anna einen Termin gegenüber dem Palais, auf der Terrasse des Majestic. Ein Gespräch mit einem Produzenten und einem Regisseur, die ihr unter Umständen eine Rolle anbieten wollten. Annas Agentin, Cheryl Silberman, war ebenfalls dabei. Spandau trank ein Bier und spießte mit einem Gäbelchen winzige Krabben auf, während die anderen eine Stunde lang über Gott und die Welt plauderten, ohne auch nur ein einziges Wort über das Projekt, um das es ging, zu verlieren.
»Kannst du mir erklären, was da gerade gelaufen ist?«, fragte Spandau, als sie wieder im Wagen saßen.
»Inwiefern?«
»Ich verstehe nur Bahnhof. Was war der Sinn dieses Meetings?«
»Hab ich dir doch gesagt. Es ging um ein Rollenangebot.«
»Aber der Film wurde gar nicht erwähnt. Wenn ich’s mir recht überlege, kamen Filme überhaupt nicht vor.«
»Ach, du Unschuld vom Lande. Ich dachte, du wärst selbst aus der Branche.«
»Ich war leider nur in den Bereichen tätig, wo man tatsächlich die Ärmel hochkrempelt und etwas auf die Beine stellt.«
»Okay, für einen Uneingeweihten sah es bestimmt nach einer Nullnummer aus. Aber für einen Insider war es ein sehr produktives Meeting. Lass es mich dir erklären, Grünschnabel.«
Sie ließ sich eine Zigarette anbieten. Spandau gab ihr Feuer. Als sie ihre Hände um seine legte, traf es ihn wie ein elektrischer Schlag. Er musste sich vorsehen. Anna lehnte sich zurück und fing an, ihn aufzuklären. Eine Frau in ihrem Element.
»Über den Film gab es nichts mehr zu sagen. Wir haben alle das Drehbuch gelesen, wir wissen alle, worum es dabei geht. Und weil der Regisseur schon so ziemlich alles an Preisen eingeheimst hat, was man auf Erden überhaupt einheimsen kann, konnte er es sich schenken, erst lang und breit seinen künstlerischen Ansatz zu verteidigen oder so.«
Allmählich kam sie in Fahrt.
»Im Gegenteil, das ist das Letzte, was man sich leisten darf. Dass man in so eine Besprechung reingeht, um irgendetwas zu verteidigen. Denn das heißt nur, dass man verzweifelt ist. Da kann man genauso gut in haiverseuchten Gewässern mit den Armen rudern oder für einen Schwarm Piranhas die Essensglocke läuten. Meine Aufgabe ist es, mich zu zeigen, meinen Charme spielen zu lassen und so zu tun, als ob mich der Regisseur tatsächlich für die Rolle haben will. Dabei wissen wir alle, dass ich zu alt dafür bin. Aber wenn ich mich in aller Öffentlichkeit mit dem derzeit angesagtesten aller Regisseure treffe, spricht es sich herum, dass ich, auch wenn man das in bestimmten Kreisen anders sieht, noch nicht die Absicht habe, mich aufs tote Gleis abschieben zu lassen.«
Sie zog nervös an ihrer Zigarette und und fuhr damit durch die Luft wie Bette Davis in einer ihrer verruchtesten Rollen. Jetzt spielte sie für die Kameras, aber sie wusste es nicht.
»Der Regisseur hat sich mit mir getroffen, weil Cheryl so ungemütlich wie die Todesgöttin Kali werden kann und er nur
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