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Nächte in Babylon

Nächte in Babylon

Titel: Nächte in Babylon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Depp
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verstrubbeln. Das geht nur ganz, ganz langsam, weil man es irgendwie heil hinter sich bringen will, ohne auf die Fresse zu fallen. Doch auch das kommt vor.
    Und plötzlich stehst du auf dem roten Teppich, und du weißt, dass es jetzt erst richtig ernst wird. Eine Meile bis zum Eingang, ein paar Hundert Menschen links und rechts. Die Wahrscheinlichkeit, es ohne Zwischenfall bis zur Tür zu schaffen, ist gering. Scheinwerfer brennen auf dich nieder, und weil sich deine Augen nicht schnell genug auf das grelle Licht umstellen können, verschwimmt alles, was weiter als einen Schritt von dir entfernt ist. Dazu das nicht abreißen wollende Tschickatschickatschik der Kameras, wie von angreifenden Insekten, und das Ploppplopppoplpopp der Blitzlichter, die dich, wenn du überhaupt noch etwas erkennen kannst, endgültig blenden.
    Du fühlst dich hilflos, auch wenn du weißt, dass sie es gar nicht auf dich abgesehen haben. Ihnen geht es nur darum, die Beautiful People abzuschießen und die Fotos zu bekommen, nach denen die Welt schon giert, und wenn ihnen dabei ein armes kleines Würstchen wie du in die Quere kommt, wird es eben mitgegrillt. Du bist froh, dass sie beruhigend deinen Arm drückt, kurz bevor du zum Amokläufer mutierst. Du stehst auf dem Teppich und wartest, dass es vorangeht.
    Warten.
    Weiter.
    Warten.
    Weiter.
    Warten …
    Sie sagt etwas zu dir, aber du hörst es nicht, siehst nur, wie sich ihre Lippen bewegen. Sie lächelt dich an, und ihre Augen sagen: Ich weiß, es ist furchtbar, aber es ist gleich vorbei, glaub mir .
    Warten.
    Weiter.
    Weiter … weiter … weiter …
    Jetzt kommst du an die Treppe, wo du dich, das weißt du genau, endgültig bis auf die Knochen blamieren wirst.
    Stufe.
    Stehen.
    Stufe.
    Stehen …
    Nur noch wenige Schritte bis zum Eingang. Jetzt musst du bloß noch aufpassen, dass du nicht über deine eigenen Füße fällst und die Leute hinter dir wie Bowlingkegel mit dir nach unten reißt. Und dann …
    Es ist vorbei. Du bist durch die Tür, du bist im Palais, du bist in Sicherheit.
    Dann wollen wir mal den verdammten Film absitzen.
    »Geht’s?«, fragte sie.
    »Alles bestens. Was meinst du, sollen wir noch mal zurückgehen und eine Ehrenrunde drehen?«
    Sie saßen eine Reihe hinter den Produzenten und Andrei, der Anna mit einem wütenden Blick bedachte, worauf sie leise »Burn, baby, burn« zu singen begann. Er überhörte es geflissentlich und ließ sich nicht reizen. Das Licht ging aus, Anna griff im Dunkeln nach Spandaus Hand.
    Leider war es ein guter Film.
    Der beste, der bis jetzt im Wettbewerb gelaufen war.
    Der beste, den Spandau seit einer Ewigkeit gesehen hatte.
    Er hatte einen Flop erwartet, auf eine Pleite gehofft. Nach allem, was er von Anna über Andreis Filme wusste, rechnete er fest mit einem schwerfälligen, hochgestochenen Machwerk, das sich eher an ein universitäres Filmseminar richtete als an den ganz normalen Kinogänger. Wer konnte aber auch damit rechnen, dass dieses Hätschelkind der Euro-Intellektuellen eine komplette Kehrtwende hinlegen und ein derart ausdrucksstarkes, gefühlvolles und dabei schlichtes Werk über den russischen Avantgardemaler zustande bringen würde, obwohl sich bei einem solchen Thema ein prätentiös aufgeblasener Stil geradezu angeboten hätte? Der Film hatte sogar – man wagt es kaum auszusprechen – Humor.
    Es war ein Meisterwerk. Spandau hätte dem arroganten Arschloch am liebsten mit einem stumpfen Tatwerkzeug eins über die Rübe gebraten. Wie kam diese vulgäre Kanalratte dazu, etwas derart Erhabenes zu schaffen? Das war einfach nicht fair. Was für ein Gott musste das sein, der seine Gaben an Kerle verschwendete, die sie nicht verdient hatten?
    Die Sache störte Spandaus Sinn für demokratische Ordnung. Seit sein Hass auf Andrei verflogen war, konnte er ihn plötzlich noch weniger leiden. Auch wenn er es nur ungern zugab: Ein Mensch, der einen solchen Film drehen konnte, musste auch seine guten Seiten haben. Und mit einem Mal begriff er auch, warum Andrei bei Anna hatte landen können. Und warum sie womöglich noch immer eine Schwäche für ihn hatte.
    Augenblick mal, dachte Spandau. Ich bin doch nicht etwa eifersüchtig?
    Doch es wurde noch schlimmer. Jubel brach los, Andrei bekam stehende Ovationen. Anna erhob sich von ihrem Sitz, Spandau ebenfalls. Andrei winkte huldvoll in die Menge und drehte sich noch einmal lächelnd und mit einem Achselzucken zu Anna um, bevor er von seinen strahlenden Produzenten aus dem Saal gelotst

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