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Nächte in Babylon

Nächte in Babylon

Titel: Nächte in Babylon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Depp
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verkraften, ohne vom Glauben an das Kino abzufallen. Die meisten möchten sich einfach nur unterhalten lassen, aber dafür ist Cannes nicht der richtige Ort. Was erklärt, warum schon seit geraumer Zeit die spannendsten Szenen weniger auf der Leinwand als vielmehr draußen am Strand zu beobachten sind. Hier bekommen wir sie zu sehen, die Reichen, die Schönen, die Berühmten, die Derben, die Dummen, die Gierigen, die Schwierigen und leider oft genug auch die lediglich Schmierigen. Dagegen kann kein Fellini mithalten. Und alles gratis, ohne Warteschlangen, ohne miefige, überfüllte Kinosäle, ohne Sprachprobleme und ohne Fehldeutungen der zugrunde liegenden Botschaften.
    Hier präsentieren sich junge Frauen mit großen Brüsten, die sich in schöner Regelmäßigkeit ihres Oberteils entledigen; hier präsentieren sich Filmstars aus Fleisch und Blut, und was am wichtigsten ist: Von albanischen Jungen und ihren Hähnen wird man so gut wie nie behelligt.
    Die Vorführungen begannen am folgenden Tag. Die Jurymitglieder hatten die Wahl, welche der täglichen drei Vorstellungen im Palais sie sich ansehen wollten. Auftritte in großer Garderobe standen nur abends an, ansonsten ging es eher leger zu. Anna war ohnehin ein Morgenmensch. Sie stand früh auf, machte ihre Yogaübungen und schwamm anschließend noch eine halbe Stunde. Diese Zeit, in der sie niemanden um sich haben wollte, war ihr heilig. Sie war wie ein Puffer zwischen ihr und der Welt, bevor es wieder losging mit den unausweichlichen Anrufen, Diskussionen und Kämpfen. Denn irgendeine Schlacht war immer zu schlagen.
    Spandau respektierte ihren Wunsch, allein zu sein, aber er sah ihr aus dem Fenster gern beim Schwimmen zu. Das Wasser war ihr Element. Sie tauchte fast ohne einen Spritzer kopfüber hinein und zog in einem mühelosen Kraulstil ihre Bahnen. Ob sie wohl wusste, wie schön sie war? Hier und jetzt, ganz für sich und ganz privat, aller scheinbaren Selbstherrlichkeit entkleidet. Während sie elegant durch das schimmernde Wasser glitt, wurde Spandau bewusst, was für ein seltenes Glück es war, ihre wahre Schönheit sehen zu dürfen. Die Menschen glorifizierten die Person, die sie in der Öffentlichkeit darstellte, den schwachen Abklatsch der Frau, die sie wirklich war, den Panzer, den sie jeden Morgen anlegte und erst wieder auszog, wenn sie schlafen ging.
    Das war natürlich auch der Grund, warum Pam ihr die Treue hielt. Was für ein Mensch mochte Anna wohl gewesen sein, bevor alles anfing: der Ruhm, das Geld, die Ängste? Pam wusste es, und deshalb blieb sie bei ihr. Genauso wie sie sich jetzt durch das Becken bewegte, musste sie in ihrer Jugend das Leben gemeistert haben: voller Anmut und Kraft. Falls sie ahnte, dass Spandau sie beobachtete, ließ sie es sich nicht anmerken. Er vermutete, dass sie es wusste, und fühlte sich reich beschenkt.
    Thierry fuhr sie zur Neun-Uhr-Matinee ins Palais. Kein roter Teppich, keine Scheinwerfer. Eine Handvoll Fans, aber keine Massen wie bei den Abendvorführungen, bei denen es glamouröser zuging und das Festival den Wunschträumen, die die Menschen von Cannes hatten, weit mehr entsprach. Nachdem sie sich am Hintereingang hatten absetzen lassen, wurden sie von einem Mitarbeiter abgeholt und zu ihren reservierten Plätzen geleitet.
    Heute lief ein japanischer Film. Französische Filme hatten englische Untertitel, englische Filme hatten französische, alle anderen Filme wurden in ihrer Originalsprache gezeigt. Spandau und Anna machten es sich bequem. Da der japanische Regisseur nicht sehr beliebt war und die meisten Menschen die japanische Sprache so früh am Morgen wohl als zu schwer verdaulich empfanden, blieben zahlreiche Sitze leer. Das Publikum bestand hauptsächlich aus Vertretern von Verleihfirmen, Journalisten und einigen unerschütterlichen Filmfreaks.
    In dem visuell sehr ansprechenden Film, der als asiatische Version von Im Westen nichts Neues gehandelt wurde, ging es um einen jungen Mann in den Wirren des Chinesisch-Japanischen Krieges. Die Kampfszenen waren beeindruckend, doch die spannende Handlung geriet phasenweise immer wieder ins Stocken, wenn sich die Personen zur inneren Einkehr in einen Shinto-Tempel zurückzogen oder in einem Garten einer ausgedehnten Teezeremonie beiwohnten. Die Hauptfigur, eine wunderschöne, junge Japanerin, die der Regisseur dazu verdonnert hatte, ausschließlich in den Genuss von Brutalo-Sex zu kommen, wurde wiederholt von chinesischen Soldaten vergewaltigt und am Ende

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