Nächte in Babylon
denn?«, fragte Vignon.
»Ich kann mir jedenfalls nicht vorstellen, dass wir dieses Trauerspiel in der nächsten Zeit noch einmal wiederholen. Frieden?«
Spandau hielt ihm die Hand hin, zuerst die zerschmetterte, dann die andere, die nach Hundekacke stank.
»Wir wollen’s mit dem Friedensschluss auch nicht übertreiben«, sagte Vignon.
Vignon schälte sich den Stoff der blutigen Hose vom Hinterteil weg und watschelte wie Charlie Chaplin zu seinem Wagen. Spandaus klammheimliche Schadenfreude darüber hielt nur so lange an, bis er merkte, dass er keine Ahnung hatte, mit welcher Hand er denn nun eigentlich das Handy bedienen sollte, um Thierry anzurufen.
5
Perec traf am frühen Morgen in Nizza ein. Am späten Nachmittag wanderte er immer noch durch die Straßen und suchte nach einer Unterkunft. Es war überall das Gleiche: Tut uns leid, wir sind ausgebucht. Während der Festspiele hätten Monsieur lange im Voraus reservieren müssen. Nein, wir können Ihnen auch leider kein anderes Hotel empfehlen, das möglicherweise noch ein Zimmer frei hätte. Vielleicht möchten Monsieur es in einem nicht ganz so beliebten Stadtteil probieren?
Perec war abgekämpft, nassgeschwitzt und ausgehungert. Es sah ganz so aus, als ob er die Nacht auf der Straße verbringen müsste. Er hatte an der breiten Strandpromenade angefangen und sich landeinwärts bis in die engeren, schmutzigeren Straßen rund um den Bahnhof vorgearbeitet. Inmitten des ethnisch bunten Treibens setzte er sich in ein Café und ließ sich einen Kaffee und ein Sandwich bringen.
»Haben Sie vielleicht eine Idee, wo ich ein Zimmer finden könnte?«, fragte er den Kellner.
Der Mann lachte. »Wollen Sie mich auf den Arm nehmen? Jetzt, während des Festivals? Da sind sogar die letzten Wohnklos vermietet. Toi, toi, toi.«
Nach dem Essen machte Perec sich erneut auf die Suche und klapperte bis nach sechs Uhr die tabacs und Bistros ab, aber ohne Erfolg. Nachdem er sich schon fast damit abgefunden hatte, im Bahnhof unterzukriechen, betrat er ein kleines Café in einer Seitenstraße, nahm an der Theke Platz und bestellte eine Coca-Cola. Ein paar Männer, die beim Wein zusammensaßen, hoben nur kurz den Kopf, als er hereinkam, und spielten dann weiter Karten.
»Ich brauche ein Zimmer«, sagte er zu dem Wirt.
»Ha! Da sind Sie nicht der Einzige.«
»Ich laufe mir schon den ganzen Tag die Hacken krumm. Ich würde alles nehmen.«
»Ich kann Ihnen nicht weiterhelfen.«
»Wie wär’s denn mit Debord?«, meinte ein Kartenspieler.
Der Wirt schüttelte den Kopf. Einer der Männer lachte.
»Wo ist das?«, fragte Perec den Gast, von dem der Vorschlag gekommen war.
»Das ist kein Wo, das ist ein Wer. Der manchmal schwarz Zimmer vermietet. Ziemliche Absteigen. Außerdem ist er, na ja … Aber bevor Sie gar nichts finden, können Sie es ja mal bei ihm probieren.«
Perec dankte ihnen und machte sich mit seinem Koffer auf den Weg. Das graue Haus, das ihm die Männer beschrieben hatten, lag in einer engen Gasse, die nach Pisse und Hoffnungslosigkeit stank. Ein junges Mädchen spritzte mit einem Schlauch eine Pfütze Erbrochenes vom Bürgersteig. Sie war klein, hatte kurz geschnittene dunkle Haare und große dunkle Augen. Während Perec noch mit sich kämpfte, ob er sie ansprechen sollte, warf sie ihm immer wieder einen nervösen Blick zu, als ob auch sie sich nicht traute, etwas zu sagen. Schließlich gab Perec sich einen Ruck.
»Ich … ich suche ein Zimmer. Jemand hat mir erzählt, dass bei Ihnen vielleicht etwas frei ist.«
Das Mädchen nickte, ohne ihn anzusehen. Sie drehte den Schlauch ab, trocknete sich die nassen Hände an ihrem Kleid ab und bedeutete ihm mit einem fast unmerklichen Kopfnicken, ihr ins Haus zu folgen. Hinter einer offen stehenden Tür saß ein Mann, der sich im Fernsehen ein Fußballspiel ansah. Das Mädchen schien Angst zu haben, ihn zu stören, und wartete ab, bis er die beiden von selbst bemerkte.
»Was ist?«
»Er braucht ein Zimmer«, antwortete sie.
»Ich bin kein Hotel«, sagte er.
»Ich habe gehört …«, begann Perec, doch der Mann schnitt ihm das Wort ab.
»Interessiert mich einen Scheißdreck.«
»Monsieur, Sie sind meine letzte …«
»Wir haben doch die Dachkammer«, sagte das Mädchen.
Der Mann stierte sie finster an.
»Na schön«, knurrte er schließlich. »Zeig es ihm. Zweihundert Euro die Woche.«
Sie riss die Augen auf. »Papa …«
»Sonst soll er sich was anderes suchen. Wollen Sie es haben oder nicht?«
»Kann ich es
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