Nächte in Babylon
anhören, ich sei kein Profi, und ich hab’s ohne Widerworte geschluckt, auch aus Respekt Anna gegenüber, obwohl es mich in den Fäusten gejuckt hat, Sie aus dem Frack zu hauen. Womöglich habe ich sogar halb geglaubt, das Treffen hier sollte so etwas wie eine freundschaftliche Geste sein. Aber nein, Sie locken mich in dieses Gruftipanoptikum, um sich über mich lustig zu machen und mich vor den Kellnern und jedem anderen Französisch sprechenden Gast zu beleidigen. Vielleicht sind wir ja wirklich Banausen, da wo ich herkomme, aber wenn bei uns ein Mann einem anderen etwas zu sagen hat, dann sagt er es ihm offen ins Gesicht und verarscht ihn nicht hinter seinem Rücken.«
Damit kippte er Vignon das halb volle Glas Cognac ins Gesicht. Ein kollektives Raunen ging durch den Raum. Spandau konnte nicht sagen, ob das Publikum erschrocken war oder doch eher erstaunt, dass er sich so lange hatte beherrschen können. Vignon zuckte nicht einmal zusammen. Er schloss nur die Augen und ließ den Alkohol cool an sich ablaufen. Anschließend trocknete er sich das Gesicht und die Brust bedächtig mit der Serviette ab.
»Sie haben recht«, sagte er. »Mein Benehmen war unendschuldbar. Es tut mir leid, dass ich Sie beleidigt habe. Aber deshalb mache ich trotzdem Kleinholz aus Ihnen.«
»Dann bringen wir es hinter uns.« Spandau wollte aufstehen.
»Bitte gedulden Sie sich noch ein wenig«, sagte Vignon. »Wenn wir jetzt gehen, weiß jeder, dass wir uns prügeln wollen. Dann holt die Geschäftsleitung die Polizei. Wenn wir noch ein paar Minuten bleiben, denkt jeder, es wäre bloß eine eifersüchtige Kabbelei unter zwei Schwulen gewesen.«
»Warum einfach, wenn’s auch kompliziert geht.«
»Möchten Sie noch einen Cognac? Von dem letzten haben Sie ja nicht viel gehabt.«
»Okay. Warum nicht?«
Vignon ließ von dem ältlichen Kellner noch zwei Cognac bringen. »Regen wir uns erst mal wieder ein bisschen ab. Man soll nicht kämpfen, wenn man wütend ist.«
»Das scheint mir der rote Faden in der französischen Geschichte zu sein«, sagte Spandau. »Wann, bitte schön, soll man denn sonst kämpfen?«
»Wer wütend ist, macht Fehler. Deshalb haben wir uns klugerweise aus Indochina zurückgezogen, bevor ihr einmarschiert seid. Wir waren wütend, weil wir nicht gewinnen konnten. Ihr hättet von uns etwas lernen können.«
»Kartesianische Logik?«
»Gesunder Menschenverstand. So logisch war Descartes gar nicht. Was Sie wüssten, wenn Sie ihn gelesen hätten.«
»Ach, lecken Sie mich doch am Arsch«, sagte Spandau.
Schweigend tranken sie weiter. Hin und wieder sah jemand gespannt zu ihnen herüber, ob die Liebenden wohl noch einmal aneinandergeraten würden. Vignon trank aus, Spandau trank aus. Gleichzeitig griffen sie nach der Rechnung.
»Das geht auf mich«, sagte Spandau.
»Nein«, antwortete Vignon. »Sie sind mein Gast.«
»Ich habe Ihnen die Jacke ruiniert.«
»Mit Fug und Recht. Ich habe Sie öffentlich beleidigt. Und nicht nur ein Mal.«
»Also gut.«
»Danke.«
»Wo können wir hin?«
»Kommen Sie mit nach draußen. Wir finden schon was.«
In der Gasse hinter dem Hotel hockte ein Clochard auf einem Milchkasten. Vignon fragte ihn, ob er ein verschwiegenes Plätzchen wüsste.
»Zum Bumsen?«, fragte der Mann zurück.
»Zum Prügeln«, antwortete Vignon.
»Gehopst wie gesprungen«, sagte der Clochard. »Hinter der nächsten Ecke kann man euch vom Hotel aus nicht mehr sehen. Und passt auf die Hundescheiße auf.«
Sie fanden die Stelle, die der Mann gemeint hatte, das uneinsehbare Ende einer Sackgasse, groß genug, um sie in ihrer Bewegungsfreiheit nicht einzuschränken.
»Müsste gehen«, sagte Vignon. »Was meinen Sie?«
»Scherben liegen hier jedenfalls keine rum«, antwortete Spandau.
»Daran hatte ich gar nicht gedacht. Gut, dass Sie es erwähnen.«
Nachdem sie ihre Jacken ausgezogen und an einer halbwegs sauberen Stelle abgelegt hatten, bauten sie sich in Kampfpositur voreinander auf.
»Ich habe mich schon ewig nicht mehr geprügelt«, sagte Vignon. »Jedenfalls nicht im fairen Zweikampf. Bei der Polizei habe ich den bösen Jungs höchstens eins mit dem Schlagstock übergezogen, aber das zählt nicht.«
»Nein«, sagte Spandau. »Das zählt nicht.«
»Sie müssen aber auf jeden Fall wissen, dass ich ziemlich gut in Form bin«, sagte Vignon.
»Ich bin auch nicht gerade klapperig beieinander.«
»Ich klettere. Ich trainiere jeden Tag.«
»Gut. Dann können Sie wenigstens noch in den Wagen
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