Naechte mit Bosch - 18 unwahrscheinlich wahre Geschichten
vorbeikommt. Bei Heinsohn im Hinterzimmer treffen sich samstags die, deren Wort in der Szene etwas gilt.
Der richtige Sammler lässt es dabei nicht bewenden. Doktor Vau hat erst kürzlich in einer New Yorker Seitenstraße einige rare Wagen entdeckt, »der totale Flipp-Aus, ich sag’s dir«. Man muss sich umtun, denn die Preise sind gestiegen. Es gibt Kataloge für die alten Modelle, und die Preise gehen bei manchen Stücken, die gleich nach dem Krieg gebaut wurden, bis über tausend Mark. Man kann kleine Autos, wenn man will, unterscheiden wie Briefmarken. Man muss nur genau hinschauen. Allein beim VW-Käfer kennt ein einschlägiges Werk 134 Versionen, ob mit oder ohne Scheibenwischerchen, ob mit schmaler oder breiter Leuchte hinten, ob kieferngrün oder umbragrau. Und alles will gesammelt sein.
Denn für die Sammlung zählt nur eins: Vollständigkeit. Weil immer mehr Firmen kleine Autos bauen und es also immer mehr kleine Autos gibt, kann kaum jemand sie noch alle sammeln. Man spezialisiert sich. Dann hat man zwar nicht alles, aber das bisschen, was man hat, ist vollständig. »Der ganze Blaulichtmarkt ist auch explodiert«, sagt Herr Pietsch zu diesem Thema. Viele Leute sammeln nur noch Autos mit Blaulicht obendrauf, Polizei oder Feuerwehr. Andere kaufen bloß Omnibusse oder Postautos oder Coca-Cola-Lieferwagen oder Volvo-Lastzüge.
Ach, grausames, grausames Prinzip! »Zuerst kommt die Leidenschaft und dann die Sucht und dann die Krankheit«, sagt Klaus-Dieter Hinkelmann, der die Firma Wiking leitet,und berichtet von glücklichen Ehen, die unter die kleinen Räder aus seiner Fabrikation kamen. »Wenn Sie jahrelang einem Auto hinterherlaufen, dann sind Sie so fanatisiert«, sagt ein Betroffener, dann könne man für nichts mehr garantieren. »Es wird schnell mal zugegriffen«, erläutert Heinz Gerasch, der schon oft ein Stück schmerzlich vermisste, wenn er mal drei, vier Freunden die Sammlung gezeigt hatte. »Die können nicht widerstehen. Und dann sagen Se mal, wer’s war.« Gerasch hat zum Beispiel einen Leichenwagen mit abnehmbarem Verdeck, und als er neulich mal eben dieses Dach herunternahm – da war der Sarg weg.
Heinz Gerasch ist ein Sammler der ersten Stunde, und mein Freund, der Doktor Vau, ist ein ganz kleiner Fisch gegen ihn. Rund 7000 Autos stehen in Geraschs Wohnung, die Wände rauf, die Wände runter, in Schränken und Vitrinen, auf Tischen und Kommoden – zwei Zimmer nur mit Autos. Den Zirkus Sarrasani hat er zweimal, mit Kassenhäuschen und Toilettenwagen; mit seinen Landmaschinen könnte man ganze Kolchosen bewirtschaften, und einen umfangreichen Autorennstall hat er auch. »Hier könn’ Se tagelang kieken«, sagt Gerasch und wischt sich mit einem weichen lila Kosmetikpinsel durchs Gesicht, um zu zeigen, womit er den Staub bekämpft, »denn det is eben der jroße Jegner, der Staub.«
Heinz Gerasch hat alles, auch wenn man es nicht gleich sieht. »Die alten Feuerwehren von Wiking stehen ganz hintenim Schrank«, sagte er, »weil sie so hässlich sind. Aba man muss se ja haben.« Heinz Gerasch weiß auch alles. »Bei Kaisers war die Post blau, bei Weimars gelb, bei Hitlers rot. Det is det, wat die wenichsten noch wissen.« Im Schrank steht ein roter Postwagen, und an der Tür ist deutlich ein Hakenkreuz zu erkennen. »Da hat olle Galinski seinerzeit zwee Jahre jebraucht, bissa det jemerkt hat«, sagt Gerasch. Heinz Galinski ist der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin. Er hat gute Gründe, auf so etwas zu achten, und das Kreuz musste in einen Punkt verwandelt werden. »Wat soll ick machen«, sagt Gerasch betrübt, »et is nu mal det Original. Ick kann doch die zwölf Jahre nich aussparen in meine Sammlung.«
»Man liebt die Modelle einfach«, sagt er. »Ick könnte mich von keines trennen.« Hunderttausend Mark habe ihm mal ein Metzger für die Sammlung geboten, die hätten Geld, das wisse man ja. »Aba nach fünf Jahren sind die Hunderttausend zu Ende. Und dann hab ick keene Autos mehr.« Etwas muss der Mensch doch sammeln, oder? Sein Sohn zum Beispiel sammle alles, was irgendwie mit dem Zeichen BMW versehen sei: Gläser, Taschentücher, Ringe, man glaube ja gar nicht, was da so zusammenkomme. Ob ich das mal sehen wolle? Es sei gleich um die Ecke.
In deutschen Hobbykellern muss man mit allem rechnen. Otto Münnix fällt mir ein. Bei dem hatten wir lange über die Oberflächenqualität von Plastikautos geredet (»SehenSie, hier ist das Finish besser«), bis Herr Münnix dann einen
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