Naechte mit Bosch - 18 unwahrscheinlich wahre Geschichten
kleinen orangefarbenen Vorhang beiseitezog, hinter dem ein Kompressor sichtbar wurde. Mit dem ließ sich eine kleine Spritzpistole zum millimetergenauen Lackieren von Modellen betreiben. Und an den Modellfreund Peter Rother muss ich denken, den Manager des C. A. M., dem ich in einem Neuköllner Hinterzimmer begegnete, der Geschäftsstelle des Klubs. Auf einen Modellkran in der Ecke hatte er gezeigt und gesagt: »So ein Kran, das ist meine Welt.« Kräne muss man nämlich zusammenbauen, und Zusammenbauen ist Peter Rothers Spezialität. Darüber schreibt er in der Zeitschrift des Klubs eine Kolumne, in der Modelle ausschließlich auf ihre Möglichkeiten hin bewertet werden, auseinandergenommen und umgebaut zu werden.
Zum Beispiel: »Wie bei allen Brekina-Lkw-Modellen muss das Chassis vorsichtig abgehebelt werden, da besonders der vordere Zapfen zum Abbrechen neigt. Das graue Dach kann man leicht abnehmen. Beim Abnehmen des Arbeitsscheinwerfers muss beachtet werden, dass bei Brekina die Zapfen umgebogen werden. Was dies soll, weiß man wohl allein im Schwarzwald.« Was dann passieren kann, las ich in der Zeitschrift
blaulicht – Einsatzfahrzeuge in Vorbild und Modell:
»Alles wurde in einer Fummelarbeit eingepasst, die manchmal wochenlang unterbrochen wurde, weil ich den ganzen Kram wütend in die Ecke geschmissen habe, da wieder mal nichts zusammenpasste.«
So schwer kann Spielen sein. Spielen? Spielen denn Erwachsene?
Oh, das ist ein heikles Thema, noch viel geheimer als es das Modellautosammeln je war. Als ich mit Doktor Vau wieder einmal auf dem Fußboden vor dem Nachtschrank kniete und er mir den Wandel der Windschutzscheibe beim VW-Cabrio an einigen konkreten Beispielen erläuterte, sagte er, dass er selbstverständlich nie mit den Autos spielen würde. Allenfalls stelle er sie auf den Tisch, denn er könne sich »an der Maßstabstreue echt satt sehen«. Und Otto Münnix hatte ja auch gesagt, im C. A. M. seien »alles ernsthafte Männer, auch Doktoren sind darunter, die spielen bestimmt nicht damit. Man pflegt sie, man sortiert sie, man freut sich, dass man sie hat. Sie geben einem das Gefühl irgendeiner Vollständigkeit.« Aber spielen? Nie!
Und wenn doch?
»Im Jeiste spiel’ ick mit die Dinga«, hat Heinz Gerasch gesagt, und manchmal sei plötzlich ein leises »Brrumm, brrrumm« zu hören. Erwachsene haben sich selbst das Spielen streng verboten, und deshalb halten sie es vor sich selbst geheim.
Aber manchmal erwischen sie sich doch. Peter Rother sagt: »Ich ertappe mich dabei, dass ich damit spiele. Und ich schäme mich nicht mal. Mit einem Mal ist man dabei und spielt Großbrand und merkt es erst nach einer halben Stunde.« Dann ist es zu spät. Hans-Jürgen Falldorf kennteinen Modellfreund in Holland, der spielt mit seinen Lastautos Spedition. Morgens schreibt er an der Maschine die Frachtbriefe, dann fahren die Autos los, immer im Zimmer herum. Auf einer Europakarte werden die Ziele markiert, damit der Chef den Überblick nicht verliert. Und dann waren da auch früher die Freunde in der DDR, die sich samstags immer zum Spielen in einer Modelllandschaft trafen. Wenn Falldorf dazukam, stand stets am Flughafen eine schwarze Limousine parat für den Botschafter des C. A. M., und die Klubfahne war auch aufgezogen. »Ich konnte doch nicht Nein sagen«, sagte Falldorf. »Die hätten mich sonst für verrückt erklärt.« Wenn alle verrückt sind, warum soll man dann unbedingt normal bleiben?
Jeder hat einen anderen Grund, Modellautos zu besitzen. Doktor Vau sagt, er fühle sich so »ruhig, friedlich und freundlich« in seiner kleinen Welt, denn hier bestimmt nur einer, und so schnell macht einem auch keiner was vor. Herr Pietsch hat hinten im Lager mal die These in den Raum gestellt, alle Menschen seien Sammler, und selbst die Sportler benutzten ihren Sport nur als Vorwand und Tarnung, um Medaillen zu sammeln. Otto Münnix sagt, für ihn sei die Sammlung »ein Heiligtum von Kindheitserinnerungen«. Und überhaupt: Ist ein lindgrünes DKW-Coupé vielleicht nicht schön?
Dann ist da noch das blöde Wort vom »Kind im Manne«. Bitte schön: Welches Kind spielt denn noch mitModellautos? Herr Pietsch klagt über Absatzprobleme bei Jugendlichen und der Verein über Nachwuchsmangel. Kinder beschäftigen sich mit Computern und mit Videos. In Wahrheit ist es so: Nicht das Kind im Manne spielt mit Autos, sondern der Mann im Kinde erkennt früh, was nützlich und gut ist. In diesem Fall haben manche Leute schnell
Weitere Kostenlose Bücher