Naechte mit Bosch - 18 unwahrscheinlich wahre Geschichten
zerkratzen, die Außenspiegel abbrechen, die Windschutzscheiben splittern …
Vau gestand, über zweitausend dieser kleinen Modelle zu besitzen. Er sammle sie seit mehr als zehn Jahren, ja, er sei Mitglied eines Klubs, der mehr als zweitausend Mitgliederhabe, welche ihrerseits ausschließlich kleine Autos des HOMaßstabs sammelten. HO heißt: Ein Zentimeter Modell entspricht 87 Zentimetern Wirklichkeit. Die Autos waren mir übrigens bekannt. Sie standen ähnlich vor Jahrzehnten auf meiner Modelleisenbahn und stammten von der Firma
Wiking
. Schon damals hatte ich einen Freund, der ungefähr 50 Feuerwehrautos besaß. Ich hatte bloß drei, nicht einmal einen ganzen Löschzug. Mein Freund hieß Uli und war zehn Jahre alt. Doktor Vau wird bald 40. Er hat auch einen Freund, der Feuerwehrautos sammelt. Der ist Anästhesist an einem Hamburger Krankenhaus und hat sich auf den Umbau von
Wiking
-Autos zu noch schöneren, detailreicheren Modellen spezialisiert. Wenn man da durch das Fenster eines Einsatzwagens spähe, schwärmte Vau, könne man, fein aufgereiht, die kleinen Atemschutzmasken erkennen.
Was Erwachsene doch aus kleinen Autos machen! Noch erstaunlicher ist aber, was kleine Autos aus Erwachsenen machen können: Besessene, die jedes Original nur als mögliches Modell zu sehen imstande sind. »Die Firma Bahlsen unterhält in ihrem Werk 3 in Barsinghausen eine Betriebsfeuerwehr, deren Fahrzeug für den Feuerwehrfan wohl einen ebensolchen Leckerbissen darstellt wie für einen Feinschmecker die bekannten Backwaren.« Das las ich in der Zeitschrift
Feuerwehr & Modell
, von der Doktor Vau sich keine Ausgabe entgehen lässt. Eine Subkultur ist da entstanden, eine Branche des Hobbyismus, abgespalten von derFraktion der Modelleisenbahner, die Autos nur als Beiwerk eines öffentlichen Verkehrsmittels dulden.
Ich beschloss, mich einer solchen Bewegung nicht zu verschließen, holte meine alten Autos vom Dachboden und beantragte die Mitgliedschaft im C. A. M., dem Club der HO-Auto-Modellfreunde. Man nahm mich auf als Modellfreund Nr. 369 (Mf. 369), und ich begann, unter den Berliner Modellfreunden Kontakte zu knüpfen. »Es müssen«, sagte einer von ihnen, »Hunderttausende sein.« Anders seien die Umsätze der Modellbaufirmen nicht zu erklären. »Früher habe ich immer gedacht, ich bin der Einzige«, sagte ein anderer. »Ich habe mich bloß immer gewundert, warum die Autos so schnell ausverkauft waren. Ich wusste ja nicht, dass es so viele Verrückte gibt.« Als er 1975 den Klub gegründet habe, sagt Hans-Jürgen Falldorf (Mf. 001), unser Vorsitzender, »hat sich noch keiner getraut, öffentlich zu sagen, er sammle solche Autos«. Das ist vorbei. Oder doch nicht ganz? Im Schwarzwald, sagt Falldorf, wisse er zum Beispiel von einem Mann, »der traut sich nicht mal, seinen Eltern zu sagen, dass er Autos sammelt«.
Ein Einzelfall? Wer weiß das schon! Da sitzt der Doktor Vau daheim inmitten Tausender kleiner Autos, und keiner ahnt es. Da gibt es Leute, die alles wissen über den Umbau kleiner Feuerwehrfahrzeuge, und keiner kennt sie. Da fertigen große wissenschaftliche Institute ständig neue, besorgte Jugendstudien an, und im Keller sitzen die Erwachsenen undmalen Zinnsoldaten an, entwerfen Fahrpläne für die Modelleisenbahn oder sortieren vertrocknete Käfer. Die Autos sind ja nur ein Beispiel. Es gibt Volksbewegungen, die registrieren bloß die Spielwarenhändler.
Herr Pietsch zum Beispiel. Herr Pietsch hat einen Laden in Berlin-Kreuzberg, einen Laden, so vollgepackt mit Modelleisenbahnen und -autos, dass man erst nach einigem Suchen hinter Schachteln und Kisten auf dem Tresen ein Gesicht erkennen kann.
»Guten Tag. Sind Sie Herr Pietsch?«
»Nee, ick seh bloß so aus.«
Herr Pietsch ist hinten im Lager und packt eine Lieferung Modellautos aus. Er sagt: »Der Markt ist explodiert.« Früher habe er vorwiegend Eisenbahnen verkauft und irgendwo in der Ecke ein Schränkchen für die Autos freigehalten. Irgendwann aber seien manchen Leuten offenbar die Gleisanlagen, mit denen Erwachsene sich bekanntlich seit Längerem beschäftigen, zu groß geworden für ihre Dreizimmerwohnungen. Immer mehr von ihnen hätten plötzlich bloß noch Autos gekauft, und heute hat Herr Pietsch meterweise, schränkeweise Autos. Ein Kollege von ihm, der Händler Heinsohn in Moabit, hat sogar ein richtiges Abonnement eingerichtet. Wer das hat, bekommt alle neu erscheinenden Fahrzeuge in einen Karton gelegt und zugeschickt. Falls er nicht selbst
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