Naechte mit Bosch - 18 unwahrscheinlich wahre Geschichten
notieren. Der Zettel wird dreimal am Tag von Schicht zu Schicht weitergegeben, denn die kleine Kneipe hat 24 Stunden am Tag geöffnet, und man vertraut einander nicht besonders. So sei es aber überall, sagte die Dame.
Ein Herr betrat das Lokal, und Paul fragte ihn gleich mal, ob er sich unter »Ablitern« etwas vorstellen könne. Der Herr, dessen Aussprache stark dadurch beeinträchtigt war, dass ihm die obere Zahnreihe vorn fehlte, sagte, er sei jetzt dreizehn Jahre lang »in Westdeutschland« gewesen, aber Ablitern – nie gehört. Wir erklärten ausführlich und ein bisschen umständlich die Sachlage, und plötzlich sagte der Mann: »Ach so, Ablitern meinen Sie.« Paul notierte das Wort auf einem Bierdeckel, denn er wollte es nie wieder vergessen. Der Herr, der sich neben uns an den Tresen setzte, bestellte ein kleines Bier. Die Dame sagte mit nachdenklicher Stimme: »Et jibbt jetzt een Problem: Ick habe nur zwee kleene Jläsa.« Erstaunt erwiderte der Herr: »Det jibbs doch nich!«
Dann ging es los: »Wie oft ha’ ick det den Wolfgang schon jesacht, det zwee kleene Jläsa nich reichen. ›Solln se doch jroße Biere trinken‹, sachta denn. So issa, vastehn Se? Neulich hat sich ma een Jast beschwert, da hatta zu den jesacht: ›Wat wolln Se denn. Sind sieben Kneipen in diese Straße, müssen ja nich bei mir sitzen.‹ So issa. Wat wolln Se machen?« Paul trank sein Glas leer und stellte es dem Herrn zur Verfügung. Ich dachte, dass es in keiner Stadt so viele Kneipen gibt wie in Berlin und dass man nur die Zahl der Straßen der Stadt mit sieben multiplizieren müsste, um genau zu wissen, wie viele es sind. Madame redete weiter. Zwei Jahre sei sie schon hier, und immer wieder werde sie gefragt,wie sie das überhaupt so lange aushalte in der Kneipe. Die meisten Schnäpse würden ja jetzt schon mit dem Computer abgelitert, »aba mit Likör jeht det natürlich nich, vaklebt ja allet, det süße Zeuch«.
»Ablitern mit dem Computer?«, fragte Paul.
Wirklich stand da neben den Schnapsflaschen ein elektronisches Gerät, das ich bisher für den Befehlsstand einer Stereoanlage gehalten hatte. Es war aber eine Art halbautomatischer Schnapsflaschenmelkanlage. Man stülpte über die Öffnung der Flasche einen Ring, der über ein Kabel mit dem Rechner verbunden war, und der Apparat dosierte die Flüssigkeit. Den Herrn, der dreizehn Jahre lang in Westdeutschland gewesen war, erboste der Anblick des Gerätes sehr. »Hier«, rief er, »könnt’ ich nich arbeiten.« Irgendwo müsse es doch noch Eckchen ohne Computer geben, wenigstens in der Kneipe. Dann bestellte er einen Korn, weil er sehen wollte, wie der Apparat funktioniert. Aus der Zahl 50 auf der Anzeigeskala wurde eine 51.
»Ick trinke ja nur Bols«, sagte Wolfgangs Angestellte, »aba man muss nüchtan sein für det Jerät. Wenn Se det nich richtich bedien’, fängta an zu schummeln. Wat wolln Se machen, Vatrauen wär mir ooch lieba. Jeht aba nich. Neulich hatten wa ne Zeitlang eene hier zum Bedien’, die brachte imma ne Flasche Weinbrand mit. ›Is für mich‹, hat se jesacht, ›ick trinke bloß Weinbrand!‹ Jeden Abend war die Flasche leer, aba sie war nüchtan.« Mir fiel ein, dass mal jemandin einem Buch über Berlin geschrieben hatte, die Berlinerin sei eine Mischung aus Bauernschläue und Naivität. Schien doch ein Kenner zu sein.
Paul fragte schnell, ob er nicht ein kleines Bier in einem großen Glas haben könne, aber die Gedanken zwischen den beiden Ohrclips waren schon in die Küche gewandert, wo Wolfgangs Gesetzen zufolge aus einem Beutel mit Kaffee sieben Tassen Kaffee zu brühen und zu verkaufen waren. »Aba nu wird ja manchmal wenich Kaffee jetrunken, nachts zum Beispiel, denn vadampft natürlich det Wassa. Neulich war mal eene Bedienung da, die schrieb denn uff: ›Eine Tasse Kaffee verdampft.‹ ›Na jut, is in Ordnung‹, hat Wolfgang jesacht. Nächsten Tach warn schon zwee Tassen vadampft. Da hatta zu mir jesacht: ›Jetzt wart’ ick noch, bis et drei sind, denn vadampft die aba hier.‹«
Wolfgang, dachte ich, so issa. Ob er noch käme? Paul hatte jetzt mein Glas übernommen, und ich hatte das von unserem Nachbarn an der Theke. Wir begannen die Frage zu erörtern, was passieren würde, wenn abends jemand eine Lokalrunde mit kleinen Bieren ausgeben wollte. Der Herr neben mir vertrat die These, Lokalrunden mit kleinen Bieren seien ein Ausdruck von Kleinlichkeit, während ich behauptete, es sei ja wohl großzügig genug, überhaupt
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