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Naechte mit Bosch - 18 unwahrscheinlich wahre Geschichten

Naechte mit Bosch - 18 unwahrscheinlich wahre Geschichten

Titel: Naechte mit Bosch - 18 unwahrscheinlich wahre Geschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Axel Hacke
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einem unentwegten Lächeln; das war das Eröffnungsgesicht des Postministers Schwarz-Schilling, welcher gerade im Raum Hamburg-Harburg persönlich eine Glasfaser in Betrieb nahm.
    Oh, Telefon! Teeleefoon!!! Gutes? Altes? Sonntags, wenn ich einsam bin, umkreise ich’s konzentrisch, bitte, bettle, flehe um ein Klingeln, indes der kleine, kalte, harte Apparat mich nicht erhört. Mittags, sobald ich den Löffel hebe, ruft immer Mutter an. Wenn ich aber aus Ägypten bei mir zu Hause anrufe, ist keiner da. Warum ist keiner da? Frau? Kind? Wo sind sie? Ist etwas passiert? Was ist passiert? EineKatastrophe? Ist alles aus? Oder hört A. mich nicht, weil sie auf dem Dachboden ist? Was macht sie auf dem Dachboden, wenn ich in Ägypten bin? Wollte sie vom Dachboden schnell zum Telefon und ist von der Leiter gestürzt? Hat sich was gebrochen? Oder hab’ ich mich bloß verwählt? Was hab’ ich denn gewählt? Warum ist dort niemand? Ist dort jemandem etwas zugestoßen? Liegt jemand bewegungsunfähig in einem brennenden Haus? Wer?!?!
    Was das Telefonieren bedeutet: Wenn eine Stimme aus dem Telefonhörer spricht, stellen wir uns etwas vor, einen Menschen mit einem Hörer in der Hand zuerst. Wie sieht er aus? Sitzt er? Liegt er? Ist er traurig? Unterdrückt er ein Weinen? Ist er nackt? Trägt er einen Kaschmirschal? So sensibel wie Blinde hören wir dann, hat ein kluger Autor geschrieben. Also hat das Telefon sich um die menschliche Fantasie verdient gemacht! Außerdem: Noch nie hat mir jemand erklären können, wie Fernsprechen wirklich funktioniert. Mein Freund, der Doktor Vau, der es gelegentlich versucht, erzählt immer etwas von elektrischen Strömen, analogen und digitalen Signalen. Aber das glaubt er selber nicht.
    Selbstverständlich ist es vollkommen unmöglich, gesprochene Texte mit Hilfe von Kabeln über Tausende von Kilometern zu transportieren, noch dazu, ohne dass überall gigantisches Geschrei und Stimmengewirr zu hören sind. Die Tatsache, dass eine Organisation namens »Bundespost« ständig Kabel in der Erde vergräbt, die angeblich der Weiterleitungvon Telefonaten dienen, ist nichts anderes als eine geschickte Strategie der internationalen Kupfer- und Glasfasersyndikate, welche mit dieser Behauptung einen Riesenmarkt erschlossen haben. Der beste Beweis ist doch, dass man neuerdings auch ohne Kabel fernsprechen kann! Im Übrigen ist das erste Telefonat in Deutschland von seinem hiesigen Erfinder Reis eröffnet worden mit dem Satz »Das Pferd frisst keinen Gurkensalat«, und das ist wahrlich auch für jeden Laien als Zauberspruch erkennbar.
    Telefonieren ist: Zauberei. Am Telefon sitze ich »wie eine Gestalt im Märchen, der auf ihren Wunsch eine Zauberin in übernatürlicher Helle die Großmutter oder Verlobte zeigt, wie sie gerade in einem Buch blättert, Tränen vergießt, Blumen pflückt, ganz dicht bei dem Beschauer und dennoch fern, das heißt, an dem Ort, an dem sie sich im Augenblick befindet. Wir brauchen, damit sich dieses Wunder vollzieht, unsere Lippen nur der magischen Membrane zu nähern …« (Das hat Marcel Proust über das Telefonieren geschrieben.)
    Der Apparat ist mächtig. Er klingelt, wir gehorchen, und er behält »immer seine letzte, geheime Waffe, den Schrei – den lang gezogenen, immer lauter werdenden Schrei eines gefangenen, aber immer noch gefährlichen Tieres«. So steht es in Ruth Rendells Roman »Flucht ist kein Entkommen«. (Übrigens rief Mutter neulich erst nachmittags um drei an. Das war genau der Tag, an dem wir einmal zwei Stunden später aßen als sonst. Das sagt wohl alles.)
    Kann sich jemand vorstellen, wie glücklich ich war, als ich zum »Internationalen Symposium zur Soziologie des Telefons« eingeladen wurde? Ich fuhr sofort hin und begegnete lauter Kommunikationswissenschaftlern, die immerzu sagten, wie zutiefst befriedigt sie ihrerseits seien, dass das Telefon endlich als Forschungsgegenstand entdeckt worden sei. Niemand habe ja bisher das Telefon wirklich untersucht. Fielding/Hartley hätten, sagte einer, es als »vernachlässigtes (neglected)« Medium bezeichnet, aber besser sei es vielleicht doch, es mit Dordick ein »übersehenes (overlooked)« Medium zu nennen. Was mich persönlich angehe, entgegnete ich, so hätte ich das Telefon nicht direkt übersehen, aber vernachlässigt schon. Ich erwähnte das eingangs.
    So gaben wir uns drei Tage lang den verschiedensten Vorträgen hin. Wir hörten, das Telefon sei die einzige zusammenhängende globale Infrastruktur, und

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