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Naechte mit Bosch - 18 unwahrscheinlich wahre Geschichten

Naechte mit Bosch - 18 unwahrscheinlich wahre Geschichten

Titel: Naechte mit Bosch - 18 unwahrscheinlich wahre Geschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Axel Hacke
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geholt, aus Angst, es könnte mich wecken. Nie mit in die Badewanne genommen, aus Furcht, es könnte mich töten. Nie ein liebes Wort, nie ein Dankeschön! Wenn man bedenkt, was für ein Zirkus um den Fernseher gemacht worden ist: Jeden zweiten Tag kam ein Wirkungsforscher zur Tür herein und fragte, ob uns nach einem Western auch immer so gewalttätig zumute sei. Man hat sich doch aus-ein-an-der-gesetzt mit diesem Apparat. Oder der Computer! Als wir einen Computer bekamen, hieß es bald, ohne Computer könnten wir gar nicht mehr leben, Computer hier, Computer da, Computerlein, du bist so wunderbar, hast viel schönere Zeichen als meine alte Schreibmaschine,zum Beispiel oder! Aber mein? Das war immer für mich da, kieselgrau, in der Ecke, unscheinbar. Und ich? Hab’s benutzt.
    Einen Schimmer von der wahren Bedeutung des Telefons bekam ich erst, als ich die Zukunftsmesse CeBIT in Hannover besuchte und längere Zeit hinter einem dicken, großen Mann herlief, der zuerst eine Bildtelefonleitung nach Frankfurt eröffnete und dann den Stand einer Telefonfabrik besichtigte, wo er mehrmals sagte: »Zeigen Sie mir mal Ihr neuestes Telefon! Das ist doch nicht Ihre neuestes Telefon!« Wie sich herausstellte, war das der Dr. Kohl, und ich wäre beinahe zu ihm gegangen und hätte gesagt: »Guten Tag, Herr Dr. Kohl, wir kennen uns bisher nur vom Telefon.« Aber das wäre ja gelogen gewesen. Wir telefonieren nämlich nie, sondern schreiben uns lange, optimistische Briefe, in denen wir uns versichern, dass man keine Angst vor der Zukunft haben müsse.
    Es war aber genau in diesem Moment, dass mich eine große Neugierde erfasste und ich sofort sämtliche Prospekte der auf dieser wunderbaren Messe anwesenden Telefonfirmen sowie der Deutschen Bundespost einsammeln musste. Das neueste Telefon! Das neueste Telefon! Ich las: Das ISDN-Komforttelefon Amethyst I hat eine Flüssigkristallanzeige, auf welcher die Rufnummer des Anrufers erscheint, bevor ich abhebe. Hat einen Anklopfton, so dass ein Anrufer, dessen Rufnummer wiederum flüssigkristallen angezeigt wird, sich tüt-tüt-tüt melden kann, während ich mit jemand anderem telefoniere. Hat Wahlwiederholung und Gebührenanzeige. Hat Tasten, die heißen: RUHE, RRUF,KONF, PARK. Hat Nummernspeicher und deshalb weitere Tasten für Nowak, Köbel und Lüdtke. Amethyst II kann, wenn ich nicht im Büro bin, Anrufe zu mir nach Hause weiterschalten. Hat größeren Nummernspeicher und Tasten auch für Schüller, Spurzem und Keffner. Das ISDN-Komforttelefon Saphir: wird erst benutzbar, wenn Chipkarte eingeschoben. Hat »Benutzerführung« und Speichertasten für Marx D., Marx und Zaric. Ja, »das Telefon wird intelligent« (Bundespost).
    Und beweglich. Ich las weiter. Von Telecar C, dem »Autotelefon, bei dem man das Auto abmachen kann« – man trägt dann einen kleinen Kasten mit Antenne durch die Gegend, nimmt den Hörer ab und spricht. Von Roadfax, dem kleinen, tragbaren Telekopierer. Von porty und der »Kommunikationsfreudigkeit, die zum Tragen kommt«. Von Teleport C, dem kleinen Funktelefon, das in die Jackentasche passt und eine Reichweite von vier bis fünf Kilometern hat. Von Liberty und ST 900 DX, den schnurlosen Telefonen. (Auf einer anderen Zukunftsmesse, der »Systems« in München, traf ich den Vertreter Meyer, der drei solche Telefone vor sich hatte und mit dem linken das mittlere anwählte. Ich nahm dessen Hörer ab, und Herr Meyer, direkt neben mir stehend, erklärte mir schnurlos die neue Welt.) Ich sah Fotos von Schornsteinfegern auf Schornsteinen, von Förstern im Silberwald, von Seglern im Segelboot, von Reitern zu Pferd, von Menschen am Strand,Familien im Garten, Anglern am Fluss – und alle telefonierten. »Sie sind jetzt jederzeit erreichbar und können weltweit an jeder Entscheidung teilnehmen«, las ich. Weltweit! An jeder Entscheidung! Ich sah mich auf dem Schornstein sitzen und weltweit abrüsten, im Wald spazierengehen und ein Tempolimit einführen, segeln und das FCKW verbieten … Mein Gott, immer wenn sie mich bisher hatten fragen wollen, war ich im Garten gewesen!
    Das alles hatte ich nicht gewusst! War ich nicht immer noch dabei, den Verlust der Schriftkultur durch das Telefon zu beklagen? Aber was längst zu bedenken gewesen wäre: der Verlust des herkömmlichen Telefons, das mit der Schnur dran und den zwölf Tasten. (Erinnert sich noch jemand an die Wählscheibe?) Mir erschien im Traum ein großes Gesicht mit silbernen Haaren, einer riesigen dunklen Brille und

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