Naechtliche Versuchung - Roman
gelassener als Talon. So als würde er niemals Gefühle empfinden. Er streckte eine Hand aus, und ein Lehnstuhl rückte neben die Couch.
Ohne Amanda zu beachten, setzte sich der sonderbare Mann und berührte Kyrians Schulter. »Schlaf, dunkler Jäger.«
In derselben Sekunde versank Kyrian in tiefem Schlummer.
Amanda beobachtete, wie der Traumjäger Kyrians Schulter festhielt und die Augen schloss. Jetzt spiegelten seine Züge Emotionen wider.
Er rang nach Atem, spannte sich an, als würde man ihn quälen. In seinem Gesicht las sie das ganze Leid, das Kyrian peinigen musste.
Nach ein paar Minuten entfernte er seine Hand. Immer noch keuchend, beugte er sich im Lehnstuhl vor und schlug die Hände vors Gesicht, als wollte er einen Albtraum verscheuchen.
Nach einer Weile schaute er zu ihr auf, und die Intensität seines Blicks ließ sie zusammenzucken.
»Niemals - in der ganzen Ewigkeit - habe ich so etwas gesehen«, flüsterte er heiser.
»Was?«
Mühsam schöpfte er Atem. »Wollen Sie wissen, was Desiderius ihm antat?«
Wortlos nickte sie.
»Seine Erinnerungen. Nie zuvor habe ich so schreckliche Qualen in einem Herzen gespürt. Wenn sie ihn heimsuchen, schwächen sie ihn. Dann verliert er seine Kampfkraft.«
»Kann ich irgendetwas tun?«
»Nur wenn Sie Mittel und Wege finden, um diese Erinnerungen auszulöschen. Wenn sie ihn weiterhin peinigen, ist er verloren.« D’Alerian schaute Kyrian an. »Bis heute Nacht wird er schlafen. Stören Sie ihn nicht. Sobald er aufwacht, kann er wieder gehen. Aber er wird sich immer noch ziemlich schwach fühlen. In den nächsten Tagen soll er keine Jagd auf Desiderius machen. Hindern Sie ihn daran. Inzwischen werde ich mit Artemis sprechen und herausfinden, was man unternehmen kann.«
»Danke.«
D’Alerian nickte und verschwand in einem goldenen Lichtstrahl. Zwei Sekunden später löste sich auch seine Jacke in nichts auf. Seufzend sank Amanda in den Lehnstuhl, schaute zur Zimmerdecke hinauf und lachte nervös.
Alles, was sie sich immer gewünscht hatte, war ein normales Leben. Jetzt war ein Vampir ihr Liebhaber, ein Traumjäger - was immer das sein mochte - verpuffte im Haus ihrer Schwester, und ein anderer Vampir versuchte sie zu töten.
Welch eine Ironie …
Aufmerksam beobachtete sie Kyrian. Jetzt atmete er etwas leichter, seine verkrampften Züge hatten sich gelockert. Durch die Bandagen drang kein neues Blut.
Was hatte Desiderius ihm angetan?
Durch die offenen Fenster strömte Mondlicht ins Zimmer und weckte Kyrian. Zunächst wusste er nicht, wo er war, bis er sich zu bewegen versuchte und heftige Schmerzen verspürte. Mit zusammengebissenen Zähnen setzte er sich langsam auf und sah Esmeralda neben der Couch stehen - ein gro ßes Kreuz in der Hand, eine Kette aus Knoblauchzehen um den Hals. »Rühren Sie sich nicht vom Fleck, Mister! Und probieren Sie bloß nicht diesen Trick mit der Gehirnwäsche an mir aus!«
Trotz seiner Qualen musste er lachen. »Gegen Kreuze und Knoblauchknollen bin ich immun.«
Entschlossen trat sie einen Schritt näher. »Würden Sie das immer noch behaupten, wenn ich Sie damit berühre?«
Blitzschnell riss er ihr das Kreuz aus der Hand und hielt es an seine Brust. »Autsch, autsch, autsch!«, rief er in gespielter Todesangst. »Also wirklich«, fuhr er in ernstem Ton fort und gab ihr das Kreuz zurück. »So etwas übt nicht die geringste Wirkung auf mich aus. Und der Knoblauch - nun ja, er riecht ziemlich übel. Aber damit kann ich leben.«
Frustriert nahm Esmeralda die Kette ab. »Wo ist Ihre Achillesferse?«
»Glauben Sie tatsächlich, das würde ich Ihnen verraten?«
Die Augen zusammengekniffen, legte sie den Kopf schief. »Mandy hat Recht, Sie sind eine Nervensäge.«
»Hätten Sie mit meinem Vater geredet, bevor ich ihn verschlang.«
Esmeralda erbleichte und wich zurück.
»Reg dich ab, Ess, er hat seinen Vater nicht verspeist.«
Kyrian wandte sich zur Seite und sah Amanda in der Tür stehen. »Bist du sicher?«
»Völlig sicher«, erwiderte sie lächelnd. »Offenbar geht es dir besser, sonst würdest du uns nicht hänseln.« Sie ging zu ihm und untersuchte die Verbände. »Mein Gott, die Wunden sind fast verheilt.«
Kyrian nickte, griff nach einem der Hemden, die sein Knappe am Nachmittag gebracht hatte, und zog es an. »Das verdanke ich D’Alerian. In ein paar Stunden wird man nur noch Narben sehen.«
Besorgt beobachtete sie, wie er aufstand. Nur seine langsamen Bewegungen verrieten ihr, dass er noch nicht
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