Naechtliche Versuchung - Roman
schlimmere Schmerzen zufügen wollte. »Um Himmels willen, die Schurken haben ihn an ein Brett genagelt!«
Bei dieser Erkenntnis wurde ihr fast übel. Offensichtlich hatten die Daimons Kyrians Hinrichtung nachgestellt.
»Wir müssen dich von hier wegbringen, Kyrian.«
Gepeinigt würgte er, hustete und spuckte Blut aus. »Dafür wird die Zeit nicht reichen.«
»Er hat Recht, Amanda«, bestätigte Nick. »In fünf oder zehn Minuten geht die Sonne auf, und vorher schaffen wir’s nicht.«
»Rufen Sie Talon an!«
»Der würde nicht rechtzeitig hierher kommen.« In Nicks Kinn zuckte ein Muskel. Ganz vorsichtig strich er über Kyrians Handfläche, in der ein Nagel steckte. »Selbst wenn
Talon uns helfen würde - ich weiß nicht, wie wir Kyrian befreien sollen.«
»Schon gut«, sagte Kyrian mit schwacher Stimme, schluckte und erwiderte den kummervollen Blick seines Knappen. »Bring Amanda zu Talon. Er soll sie beschützen. Und Tabitha auch …«
Wortlos rannte Nick davon.
Ohne ihn zu beachten, erklärte Amanda entschieden: »Ich lasse dich nicht sterben, Kyrian. Verdammt, du darfst kein Schatten werden! Das erlaube ich nicht!«
Sein zärtlicher Blick raubte ihr den Atem. »Tut mir leid, dass ich dich enttäuscht habe. Ich wünschte, ich wäre der Held, den du verdienst.«
Mit sanften Händen umfasste sie sein Gesicht und zwang ihn, sie anzuschauen. Dann wischte sie mit zitternden Fingern das Blut von seiner Nase und seinen Lippen. »Wage es bloß nicht, dich aufzugeben. Hörst du mich? Wenn du stirbst - wer sagt denn, dass Desiderius nicht auch Talon töten wird? Du musst kämpfen, Kyrian. Für mich. Bitte!«
Schmerzlich schnitt er eine Grimasse. »Das ist schon okay, Amanda, und ich bin nur froh, dass du mich gefunden hast. Denn ich möchte nicht allein sterben. Nicht schon wieder.«
Diese Worte krampften ihr Herz zusammen. Über ihre Wangen rollten Tränen. Nein! Der Schrei hallte in ihrer Seele wider.
Niemals würde sie ihn sterben lassen. Nicht so - nicht nachdem er sie beschützt und für sie gesorgt hatte. Er bedeutete ihr alles …
In ihrer Fantasie sah sie ihn über die Erde wandern, zwischen
zwei Welten gefangen. Für immer hungrig. Für immer einsam. Das würde sie verhindern.
Nick kehrte mit einem Brecheisen zurück.
»Was haben Sie vor?«, fragte sie.
Entschlossen starrte er sie an. »Soll ich untätig zusehen, wie er stirbt? Ich werde ihn befreien.« Gequält spannte Kyrian alle Muskeln an, als der Knappe nach seiner Hand griff und einen Nagel zu lösen versuchte.
»Nein!«, schrie Amanda, und Nick taumelte nach hinten.
»Was zum Teufel …«
In ihrem Inneren regten sich die Kräfte mit aller Macht und gerieten außer Kontrolle. Plötzlich flogen die Nägel aus Kyrians Händen, und er sank in Amandas Arme. »Helfen Sie mir, Nick!«, keuchte sie. Die schwere Last drückte sie fast zu Boden.
Da schüttelte Nick seine Benommenheit ab und nahm seinen Boss auf die Arme. Unter Kyrians Gewicht schwankte er, aber er trug ihn so schnell wie möglich zum Auto. Amanda eilte hinterher. »Die Zeit ist zu knapp«, ächzte er. »Gleich wird die Sonne aufgehen, bevor wir daheim ankommen …«
»Bringen wir ihn zu meiner Schwester«, schlug Amanda vor, »sie wohnt nur einen Häuserblock entfernt.«
»Welche Schwester meinen Sie?«
»Esmeralda. Heute Nacht war sie bei Tabitha im Krankenhaus, die mit den langen schwarzen Haaren.«
»Die Voodoo-Priesterin?«
»Nein, die Hebamme.«
Nick fuhr im Rekordtempo zu Esmeraldas Domizil. Als er seinen Boss auf die Veranda schleppte, fielen bereits die ersten
Sonnenstrahlen über ein Dach auf der anderen Straßenseite. Amanda hämmerte gegen die Tür des schmalen viktorianischen Hauses. »Schnell, Essie, lass uns rein!«
Nur wenige Sekunden später sah sie den Schatten ihrer Schwester durch viktorianische Spitzengardinen, dann schwang die Tür auf. Nick trug Kyrian durch die Diele ins Wohnzimmer und legte ihn auf ein antikes dunkelgrünes Sofa. »Ziehen Sie alle Jalousien runter, Ma’am«, befahl er.
»Entschuldigen Sie bitte - was soll das?«, fragte die Hausherrin.
»Tu’s einfach, Essie«, drängte Amanda, »danach erkläre ich dir alles.«
Widerstrebend befolgte Essie die Anweisungen.
»O Gott, wie sie dich zugerichtet haben!«, klagte Amanda und berührte Kyrians Gesicht.
»Wie geht’s Tabitha?«, flüsterte er kraftlos.
»Erstaunlich gut«, antwortete sie, gerührt über seine Sorge um ihre Schwester. Obwohl er selbst so schwer verletzt war
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