Naechtliche Versuchung - Roman
sehen. In seinen Armen würde sie an Altersschwäche sterben und er bis in alle Ewigkeit weiterleben. Allein. Dieser Gedanke erfüllte ihn mit tiefer Trauer. Ein Leben ohne Amanda wollte er sich gar nicht vorstellen. Wenn es schon nach ein paar Tagen so schrecklich wehtat - wie viel schlimmer würde es nach ein paar Jahrzehnten sein?
Nein, das würde sein verwundetes Herz nicht ertragen.
»Du kannst mich nicht lieben, Amanda.«
»Warum nicht?«
»Weil manche Dinge unmöglich sind.«
Sie berührte seinen Arm, und ihre Augen flehten ihn an, ihren Standpunkt zu begreifen. Doch das wagte er nicht.
»Vielleicht ist es doch möglich.«
»Da irrst du dich.«
In diesem Moment klopfte es an der Haustür, und Amanda beobachtete Esmeralda, die Tate hereinließ. Hastig rollte er eine Bahre in die Diele.
Niemals würde sie die wehmütige Resignation in Kyrians Blick vergessen, als er den Leichensack sah.
»Geh nicht!«, bat sie ein letztes Mal und hoffte inständig, diesmal würde er auf sie hören.
»Leider habe ich keine Wahl.«
»Doch, du starrsinniger Idiot! Verlass mich nicht!«
Er strich mit einer Hand über seine Augen, als wollte er pochende Kopfschmerzen bekämpfen. »Warum soll ich hier bleiben?«
»Weil ich dich liebe.«
Aus der Küche drang Tabithas wütender Fluch herauf - gefolgt von unheimlicher Stille. Gequält schloss Kyrian die Augen. So viele Jahrhunderte lang hatte er auf diese Worte aus dem Mund einer Frau gewartet - auf die Liebeserklärung einer Frau, die es ernst meinte. Aber jetzt war es zu spät.
»Als ich das letzte Mal glaubte, eine Frau würde mich lieben, gab ich ein Königreich für sie auf. Und dann sah ich sie lachen, während ich gekreuzigt wurde. Sei nicht so dumm, Amanda. Wahre Liebe gibt es gar nicht, das ist nur eine Illusion. Sei versichert, du liebst mich nicht.«
Bevor sie wieder sprechen konnte, rannte er die Stufen hinab, schlüpfte behände in den Leichensack und zog den Reißverschluss zu.
»Verlass mich nicht!«, schrie sie, lief ihm nach und packte durch das dicke Plastikmaterial seinen Arm.
»Bring mich in mein Haus, Tate.«
Da schenkte Tate ihr ein trauriges Lächeln und schob die Bahre ins Freie.
»Zum Teufel mit dir, Kyrian!«, schrie Amanda voller Zorn.
Nur gedämpft hörte Kyrian ihren Fluch, der seine Brust wie ein Messer durchbohrte.
Verlass sie nicht, flehte sein Herz.
Aber ihm blieb nichts anderes übrig. Diesen Weg hatte er gewählt und seine Entscheidung im Bewusstsein aller Konsequenzen und Opfer getroffen.
Amanda gehörte ins Licht, er in die Dunkelheit. Irgendwie würde er eine Methode finden, um seine Seele ohne ihre Hilfe wiederzufinden.
Sobald ihm das gelang, würde er Desiderius töten.
Amanda und Tabitha würde nichts zustoßen. Und er würde in das Leben zurückkehren, das er kannte - für das er einen Eid geschworen hatte.
Aber in der Tiefe seines Herzens gestand er sich die Wahrheit ein. Er liebte Amanda mehr als alles auf der Welt.
Trotzdem durfte er sie nicht wiedersehen.
KURZ NACH FüNF Uhr nachmittags, als es bereits zu dämmern begann, parkte Amanda ihren dunkelblauen Taurus vor Kyrians Haus, ging zu dem imposanten Portal und läutete.
Sie erwartete, Nick würde sie einlassen. Stattdessen schwang die Tür langsam auf, aber niemand stand auf der Schwelle.
Mit gerunzelter Stirn betrat sie die Halle.
Sofort fiel die Tür hinter ihr ins Schloss, und sie rang erschrocken nach Atem. Auf die gleiche Art hatte sich auch die Gartenpforte geschlossen. Doch das hatte sie nicht beunruhigt. Denn sie war zu der Überzeugung gelangt, Kyrian hätte ihr Auto auf den Video-Monitoren gesehen und die Pforte elektronisch bewegt.
Jetzt war sie nicht mehr so sicher.
Ihre Herzschläge beschleunigten sich. Mit wachsendem Unbehagen schaute sie sich um. Tiefe Stille erfüllte das Haus. »Nick? Kyrian?«, rief sie. »Hallo?«
»Sie sind also Amanda Devereaux.«
Als die tiefe, provozierende Stimme aus dem Wohnzimmer drang, erstarrte sie. Diesen eigenartigen Akzent hatte sie nie zuvor gehört, doch der ausdrucksvolle Klang erinnerte sie an Donnergrollen.
Hatte ihr ein Daimon aufgelauert? Zögernd betrat sie das Wohnzimmer. Einige Sekunden lang wartete sie, bis sich ihre Augen an die Finsternis gewöhnt hatten, die nur von Mondstrahlen schwach erhellt wurde. Dann sah sie einen attraktiven Mann auf dem Sofa liegen. Seine Beine hingen über einer Armstütze, die Hände hatte er hinter dem Kopf verschränkt. Prüfend erwiderte er Amandas Blick. Er
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