Naechtliche Versuchung - Roman
weil sie zu schmerzlich war.
»Um deinetwillen hoffe ich, meine Prophezeiung wird nicht eintreffen«, flüsterte er und widerstand dem Impuls, Amandas Haar zu berühren. »Aber ich fürchte, wegen deiner starken inneren Kräfte und der Besessenheit, mit der Tabitha die Vampire jagt, musst du in den nächsten Tagen auf dein langweiliges Leben verzichten.«
Beklommen wich sie seinem Blick aus. »Ich habe doch gar keine Kräfte.«
Einen Finger unter ihrem Kinn, zwang er sie, ihn anzuschauen, wollte sie trösten, ihre Angst lindern, die er nicht verstand.
Warum akzeptierte sie ihre Talente nicht? »Wenn du sie auch nicht nutzt, Amanda … Du bist telepathisch veranlagt. Und du kannst gewisse Ereignisse voraussehen. Du gleichst Tabitha. Aber du besitzt noch stärkere Gaben.«
Ihre Augen funkelten wie Saphire. »Nein, du lügst …«
Verblüfft über diese Anklage, fragte er: »Warum sollte ich?«
»Keine Ahnung. Ich weiß nur, dass ich diese Fähigkeiten nicht habe.«
»Wieso fürchtest du dich davor?«
»Weil …«
Ihre Stimme erstarb, der Satz blieb unvollendet.
»Weil?«, ermunterte er sie.
Als sie zu ihm aufschaute, nahm ihm die Verzweiflung in ihrer Stimme den Atem. »Als ich fünfzehn war«, begann sie fast unhörbar, »hatte ich einen Traum.« Den Tränen nahe, tastete sie nach der Küchentheke an ihrer Seite, um Halt zu
suchen. »Damals träumte ich sehr oft. Und alle Träume bewahrheiteten sich. In jener besonderen Vision erlitt meine beste Freundin einen Autounfall. Ich sah sie, spürte ihre Panik, las ihre letzten Gedanken, bevor sie starb.«
In ihrer Stimme schwang ein tiefer Schmerz mit. Besänftigend umfasste Kyrian ihre eisigen, bebenden Finger.
»Am nächsten Tag traf ich sie in der Schule und wollte sie daran hindern, mit Bobby Thibideaux nach Hause zu fahren. Ich erzählte ihr sogar von meinem Traum.« Jetzt rollten Tränen über Amandas Wangen. »Aber sie hörte nicht auf mich und behauptete, ich sei dumm und gemein und eifersüchtig, weil er sie liebte und nicht mich.« Seufzend schüttelte sie den Kopf, von bösen Erinnerungen verfolgt. »Glaub mir, ich war nicht eifersüchtig - ich dachte nur, ich müsste ihr Leben retten.«
»Das weiß ich«, versicherte er, streichelte ihre Hand und versuchte sie zu wärmen.
»Sie rannte zum Auto, und ich rief ihr nach, sie dürfte nicht einsteigen. Ringsum standen Schüler und Schülerinnen, die mich anstarrten. Tabitha zog mich beiseite. Während Bobby mit meiner Freundin davonfuhr, lachten mich alle aus.« Amandas Zunge befeuchtete ihre trockenen Lippen. »Am nächsten Morgen lachten sie nicht mehr, nachdem sie gehört hatten, die beiden seien tödlich verunglückt. Sie nannten mich einen Freak. Drei Jahre lang schnitten sie mich - das unheimliche Mädchen, das Tragödien prophezeite.« Die Augen voller Zorn, fügte sie hinzu: »Wozu sind diese Fähigkeiten gut, wenn sie die Leute erschrecken? Warum sehe ich Ereignisse voraus, die ich nicht ändern kann? Was nützt mir das?«
Darauf fand er keine Antwort, er fühlte nur ihre inneren Qualen.
»Verstehst du das nicht?«, stieß sie hervor. »Von einer Zukunft, die ich nicht beeinflussen kann, brauche ich nichts zu wissen. Ich will normal sein …« Beinahe brach ihre Stimme. »So wie Tabby und meine Großmutter möchte ich nicht sein. Die Toten sollen nicht mit mir reden. Was sie empfinden, ist mir egal. Ich will so leben wie andere Menschen. Hast du diesen Wunsch nie verspürt?«
Abrupt ließ er ihre Hand los. »Meine Wünsche spielen keine Rolle.«
»Tut mir leid«, entschuldigte sie sich und musterte bestürzt seine versteinerte Miene. Offenbar hatte sie ihn verletzt.
»Schon gut …«, erwiderte er langsam und ging zu einem Stuhl, umklammerte die Rückenlehne und versuchte erfolglos seinen Kummer zu verbergen. Schließlich gestand er: »Du hast Recht. Manchmal vermisse ich den Sonnenschein auf meinem Gesicht, auch andere Dinge, die ich gar nicht alle zählen kann. Ich habe gelernt, solche Erinnerungen zu verdrängen. Sonst würden sie mich quälen.« Bezwingend schaute er in Amandas Augen. »Wie auch immer - da uns beiden besondere Talente verliehen wurden, werden wir niemals normal sein.«
Davon wollte sie nichts hören. »Du vielleicht nicht. Aber ich schon. Diese Ahnungen lasse ich nicht mehr an mich heran, ich habe sie aus meinen Gedanken verbannt.«
Kyrian lachte bitter. »Und du findest mich starrsinnig.«
»Könnte ich doch die Zeit zurückzudrehen, zum vorgestrigen Tag! Wie
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