Naechtliche Versuchung - Roman
einen griechischen Tempel. Davor standen drei Barhocker. Alles blitzte vor Sauberkeit. »Ziemlich groß für einen einzigen Bewohner, dieses Haus. Wie lange lebst du schon hier?«
»Über hundert Jahre.«
Entgeistert rang sie nach Luft. »Im Ernst?«
»Warum sollte ich woandershin ziehen? Mir gefällt es in New Orleans.«
Inzwischen hatte auch Amanda ihren Teller leer gegessen, stand auf und trug ihn zur Spüle. »Also willst du in dieser Stadt Wurzeln schlagen. Wo warst du vorher?«
»Eine Zeit lang in Paris«, antwortete er und spülte den Teller ab. »Dann in Genf, London, Barcelona, Hamburg, Athen. Davor ging ich auf Reisen.«
Während er sprach, beobachtete sie sein Gesicht. Nichts verriet seine Stimmung. Wie üblich verbarg er seine Gefühle. Gab es irgendeine Möglichkeit, ihn aus der Reserve zu locken?
»Das klingt so, als wärst du sehr einsam gewesen.«
»Für mich war’s okay.« Immer noch kein verräterisches Mienenspiel.
»Hast du in diesen Städten Freunde gewonnen?«
»Nein, nicht wirklich. Im Lauf der Jahrhunderte hatte ich ein paar Knappen. Aber meistens zog ich es vor, allein zu leben.«
»Knappen?« Wie merkwürdig. »Wie im Mittelalter?«
»So ähnlich.« Er lächelte sie an, gab aber keine nähere Erklärung ab. »Und du? Hast du schon immer in New Orleans gelebt?«
»Ja, in dieser Stadt wurde ich geboren, und ich wuchs hier auf. Die Eltern meiner Mutter stammten aus Rumänien. Während der Depression wanderten sie in die Staaten aus. Mein Vater kommt aus einer Cajun-Familie.«
»Oh, ich kannte sehr viele Cajuns.«
»Kein Wunder - wenn du seit hundert Jahren hier lebst.« Sie stellte sich seine endlos lange Einsamkeit vor. Wie mochte es gewesen sein, mit anzusehen, wie diese oder jene Menschen, die er gemocht hatte, alt geworden und gestorben waren? Während er sich niemals änderte. Welch ein grauenhaftes Schicksal! Aber für Kyrian musste es auch erfreuliche Momente gegeben haben. »Wie ist das, zu wissen, das man ewig lebt?«
»Offen gestanden, daran denke ich gar nicht mehr. So wie alle Leute stehe ich morgens auf, erledige meinen Job, und abends gehe ich schlafen.«
Wie simpel das klang. Damit war er anscheinend zufrieden. Trotzdem spürte sie die Trauer in der Tiefe seines Herzens. Ohne Träume zu leben, das musste qualvoll sein. Der menschliche Geist brauchte Ziele, die er erreichen wollte. Und Daimons zu töten, das erschien ihr nicht besonders erstrebenswert.
Welch ein Leben mochte er früher geführt haben? Julian hatte ihr erzählt, nach den Schlachten seien sie oft betrunken gewesen. Und Kyrian hatte sich so inständig Kinder gewünscht. Amanda erinnerte sich, wie liebevoll er Vanessa begegnet war.
»Hattest du jemals Kinder?«
Nur sekundenlang glühte bitteres Leid in seinen Augen, dann nahmen sie den gewohnten stoischen Ausdruck an. »Nein, dunkle Jäger sind steril.«
»Also bist du impotent?«
»Wohl kaum«, stieß er ärgerlich hervor. »Ich bin durchaus fähig, einen Liebesakt zu vollziehen. Aber ich kann mich nicht fortpflanzen.«
»Oh …« Um die Stimmung aufzulockern, lächelte sie sanft. »Das war eine sehr indiskrete Frage. Tut mir leid.«
»Schon gut.« Kyrian schaltete die Geschirrspülmaschine ein. »Möchtest du das Haus besichtigen?«
»Haus …?«, wiederholte sie gedehnt. »Wenn das ein Haus ist, wohne ich in einer miesen kleinen Bude …« Abrupt verstummte sie, als sie sich entsann, dass sie im Augenblick nirgendwo wohnte. »Ja, ich würde dein Heim sehr gern sehen.«
Kyrian führte sie in ein großes Wohnzimmer mit schönen alten Stuckornamenten an der Decke. Aber die Möbel waren modern und offensichtlich so ausgewählt worden, dass sie eher dem Komfort dienten, als Besucher zu beeindrucken. Nun, vermutlich empfingen Vampire nur sehr selten Gäste. An einer Wand standen ein Flachbildfernseher, ein Videorecorder und ein DVD-Player.
Trotz zahlreicher Lampen wurde der Raum nur von Kerzen in drei reich verzierten Kandelabern erhellt, die Kyrian offenbar angezündet hatte, bevor er in die Küche zurückgekehrt war.
»Hast du was gegen Glühbirnen?«, fragte Amanda.
»Für meine Augen sind sie zu hell.«
»Bereitet dir das Licht Schmerzen?«
»Ja, die Augen der dunklen Jäger sind auf die Nacht eingestellt. Wir haben größere Pupillen als die Menschen, und sie verengen sich nicht so stark. Deshalb dringt mehr Licht hindurch.«
Schwarze Jalousien verdeckten die Fenster, die vom Boden bis zu Decke reichten. Offenbar sollten sie das
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