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Naechtliches Schweigen

Naechtliches Schweigen

Titel: Naechtliches Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
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schlank, fest und zerbrechlich.
    »Es ist einfach herrlich. Ich kann noch gar nicht glauben, dass du wirklich hier bist.« Auf einmal war alles wieder greifbar. Ein Nachmittag - nein, zwei - am Strand. Die Gefühle, die sie ihm erst als Kind, dann als Frau entgegengebracht hatte, kamen mit Macht zurück, so unerwartet, dass sie sich an ihm festhielt, zu nah, zu lange. Als sie ihn freigab, schimmerten ihre Augen feucht. »Es ist lange her.«
    »Ja, müssen ungefähr vier oder fünf Jahre sein. Du siehst toll aus.«
    »Du auch. Ich hab' dich noch nie so schick gekleidet gesehen.«
    »Nun...«
    »Bist du beruflich in New York?«
    »Ja.« Die Antwort war eine glatte Lüge, doch zur Hölle mit der Wahrheitsliebe. Er hatte nicht die Absicht, vor ihr wie ein Idiot dazustehen. »Ich hab' von deiner Ausstellung gelesen.« Das entsprach der Wahrheit, nur dass er die kurze Notiz zu Hause am Frühstückstisch gelesen und sich daraufhin drei Tage freigenommen hatte.
    »Na, was denkst du?«
    »Worüber?«
    »Die Ausstellung.« Wie schon einmal nahm sie ihn bei der Hand und zog ihn mit sich.
    »Sie ist wirklich gut. Ich verstehe zwar nicht viel von Fotografie, aber deine Aufnahmen gefallen mir. Ehrlich gesagt...«
    »Ehrlich gesagt?« hakte sie nach.
    »Ich hatte keine Ahnung, dass du so etwas fertigbringst. Wie das Bild hier.« Er blieb vor einer Aufnahme stehen, die zwei Männer, die Wollmützen über die Ohren gezogen und in zerschlissene Mäntel gehüllt, zeigte. Einer lag schlafend auf alten Kartons, der andere blickte aus erschöpften, hoffnungslosen Augen direkt in die Kamera. »Ein anrührendes und beeindruckendes Bild.«
    »New York besteht nicht nur aus der Madison Avenue.«
    »Aber um beide Seiten der Stadt gleichermaßen objektiv darzustellen, dazu gehört Talent und Einfühlungsvermögen.«
    Überrascht sah sie ihn an. Genau das hatte sie mit ihren Studien der Stadt, von Devastation, von Menschen zu erreichen versucht. Beide Seiten herauszuarbeiten. »Für jemanden, der nichts von Fotografie versteht, triffst du den Nagel genau auf den Kopf. Wann fliegst du zurück?«
    »Morgen, mit der ersten Maschine.«
    »Oh.« Sie ging weiter, erstaunt, welch große Enttäuschung sie verspürte. »Ich hatte gehofft, du könntest ein paar Tage bleiben.«
    »Ich war mir gar nicht sicher, ob du überhaupt noch mit mir redest.«
    »Michael, das ist lange her. Ich habe damals überreagiert, weil - mir ist etwas sehr Unangenehmes passiert. Aber das ist jetzt nicht mehr von Bedeutung.« Lächelnd küsste sie ihn auf die Wange. »Friede?«
    »Friede.«
    Immer noch lächelnd hob sie eine Hand zu seinem Gesicht.
    »Emma!«
    Drews Stimme ertönte hinter ihr, und sie fuhr schuldbewusst zusammen, fast als habe er Michael und sie zusammen im Bett statt in einem überfüllten Raum erwischt. »Drew, du hast mich vielleicht erschreckt! Das ist Michael Kesselring, ein alter Freund von mir. Michael, mein Mann Drew.«
    Drew schlang besitzergreifend einen Arm um Emmas Taille und nickte Michael frostig zu. »Emma, es gibt noch mehr Leute, die dich kennenlernen möchten. Du vernachlässigst deine Pflichten.«
    »Mein Fehler«, entschuldigte sich Michael sofort, betroffen, wie schnell das Leuchten in Emmas Augen erstarb. »Wir haben uns lange nicht gesehen. Ich gratuliere, Emma.«
    »Danke. Grüß deine Eltern bitte von mir.«
    »Mache ich.« Der Wunsch, sie von ihrem Mann wegzureißen, war so stark, dass Michael sich bremsen musste. Eifersucht, sagte er sich, pure, reine Eifersucht.
    »Michael.« Drew war bereits im Begriff, sie fortzuzerren. »Meld dich mal wieder.«
    »Klar.« Er nahm sich ein Glas von dem Tablett, das eben herumgereicht wurde, und sah den beiden nach. Wenn er einfach nur eifersüchtig war, dann musste er sich doch ernsthaft fragen, warum es ihn mit jeder Faser seines Instinkts dazu trieb, seine Faust in Drew Latimers hübsches Gesicht krachen zu lassen.
    Weil Emma seine Frau war, gestand Michael sich ein. Und weil er selbst sie begehrte.
    Diesmal war Drew nicht angetrunken. Während des gesamten langen, grausamen langweiligen Abends hatte er sich nur an zwei Gläsern Champagner festgehalten, da er unbedingt einen klaren Kopf sowie die Kontrolle über sich selbst behalten wollte. Es würde sich schon noch lohnen, Kotaus vor Brian McAvoy zu machen. Und er hatte es sehr geschickt angestellt. Jeder Idiot konnte sehen, dass Drew Latimer seiner Frau die Sterne vom Himmel holen würde. Für diese schauspielerische Leistung sollte man ihm

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