Naechtliches Schweigen
Reisetasche und faltete wie gewohnt ihre Wäsche sorgfältig zusammen, hängte ihre Kleider in den Schrank und verstaute die Toilettenartikel im Bad. Als alles erledigt war, griff sie zum Telefon.
»Zimmer 312, Miß McAvoy. Ich hätte gern einen Mietwagen. Für zwei Tage. Ja, so schnell wie möglich. Gut. Ich komme runter.«
Noch etwas blieb zu tun, doch das verursachte ihr Unbehagen. Sie schlug im Telefonbuch den Buchstaben K auf. Da stand es. Kesselring, L.
In ihrer sauberen Handschrift notierte Emma sich die Adresse. Er lebte also immer noch hier.
»Willst du dich den ganzen Morgen lang vollstopfen, Michael, oder wirst du endlich den Rasen mähen?«
Michael grinste seinen Vater an und schaufelte sich eine weitere Ladung Pfannkuchen auf den Teller. »Der Rasen ist groß. Ich brauche meine Kraft, stimmt's, Mom?«
»Seit der Junge ausgezogen ist, isst er nicht mehr anständig.« Zufrieden, ihre beiden Männer wieder am Tisch zu haben, füllte Marge die Kaffeetassen nach. »Du bestehst nur noch aus Haut und Knochen, Michael. Ich habe da noch ein schönes Stück von dem Schinken, den ich letzte Woche gekocht habe. Das nimmst du nachher mit.«
»Gib diesem Schnorrer ja nicht meinen Schinken«, protestierte Lou.
Michael hob eine Augenbraue, dann verteilte er mehr Sirup auf seinen Pfannkuchen. »Pass auf, wen du einen Schnorrer nennst.«
»Du hast deine Wette verloren, aber ich sehe noch keine Anzeichen dafür, dass mein Rasen gemäht wird.«
»Gleich, gleich«, knurrte Michael und langte nach einem Würstchen. »Ich glaube, das Spiel war manipuliert.«
»Die Orioles haben gewonnen, in einem fairen Spiel. Und das ist über einen Monat her. Also bezahl deine Wettschulden.«
»Als Polizist solltest du wissen, dass Glücksspiel illegal ist.«
»Ein Grünschnabel wie du sollte erst gar keine Wetten abschließen. Der Rasenmäher steht im Schuppen.«
»Ich weiß, wo das Ding steht.« Michael erhob sich und legte seiner Mutter den Arm um die Schulter. »Wie hältst du es nur mit diesem Knaben aus?«
»Manchmal fällt's mir schwer.« Marge tätschelte ihrem Sohn lächelnd die Wange. »Pass auf die Rosenbüsche auf, Liebling.«
Michael warf den Rasenmäher an und genoss die physische Betätigung, den leichten Schweiß, der ihm auf die Haut
trat. Allerdings freute er sich nicht sonderlich, die Wette verloren zu haben. Er hasste es zu verlieren.
Doch er hatte den Geruch des Rasens vermisst. Zwar gefiel ihm sein Apartment mit dem winzigen Swimmingspool im Haus und den lauten Nachbarn ganz gut, doch die Vororte mit ihren großen, dichtbelaubten Bäumen, den sauber gefegten Straßen, den Barbacues im Hinterhof und den Nachbarn, die sich über die Gartenzäune hinweg unterhielten, bedeuteten Heimat.
Viel hatte sich hier seit seiner Jugend nicht geändert. Die Nachbarn wetteiferten immer noch um den am besten gepflegten Rasen, den schönsten Garten, und sie liehen sich immer noch Werkzeuge aus, die sie dann zurückzugeben vergaßen.
Diese Umgebung vermittelte ihm ein Gefühl der Beständigkeit; etwas, das er erst zu schätzen gelernt hatte, nachdem er es aufgegeben hatte.
Der hintere Rasen und die Hälfte des vorderen waren bereits sauber getrimmt, als Michael sich zu fragen begann, warum sich sein Vater eigentlich nie einen Minitraktor zum Rasenmähen zugelegt hatte. Vor dem Haus hielt ein Mercedes-Kabrio, an das Michael wohl kaum einen zweiten Blick verschwendet hätte, wäre die Blondine hinter dem Steuer nicht gewesen. Er hatte eine Schwäche für Blondinen. Sie saß einfach nur da, das Gesicht halb unter einer dunklen Brille versteckt, während die Zeit verstrich.
Dann stieg sie langsam aus. Sie war groß und schlank, und unter ihrem dünnen Baumwollrock zeichneten sich lange, wohlgeformte Beine ab. Auch ihre Hände fielen ihm auf, zart, gut geformt und um ein graues Ledertäschchen geklammert.
Hübsch, nervös und von außerhalb, folgerte Michael. Und reich. Sowohl die Tasche als auch die Schuhe waren aus echtem Leder, und was da in ihren Ohren und am Handgelenk glitzerte, sah beileibe nicht nach Modeschmuck aus. Auch ihr Auftreten verriet die Oberklasse. Ihre Hände zeugten zwar von Nervosität, doch sie bewegte sich mit der Anmut einer Tänzerin.
Ohne Zögern kam sie auf ihn zu. Der Duft ihres Parfüms, leicht und irgendwie verführerisch, stieg ihm in die Nase und vermischte sich mit dem Geruch des frischgeschnittenen Grases.
Als sie ihn anlächelte, blieb ihm fast das Herz stehen.
»Hallo. Tut mir
Weitere Kostenlose Bücher