Naechtliches Schweigen
besetzten Ring an Emmas Hand haften. »Kommen Sie herein, ich zeige Ihnen das Haus. Ich bin Gloria Steinbrenner.«
»Nett, Sie kennenzulernen.« Michael schüttelte ihre Hand. »Michael Kesselring. Das ist Emma.«
Mrs. Steinbrenner bedachte beide mit einem strahlenden Lächeln. Zum Teufel mit den Maklern, dachte sie, vielleicht war sie hier auf eine Goldgrube gestoßen, und sie hatte vor, die Gelegenheit beim Schopf zu packen.
»Das Haus ist in hervorragendem Zustand. Ich liebe es einfach.« In Wahrheit verabscheute sie jeden einzelnen Stein. »Es bricht mir das Herz, es verkaufen zu müssen, aber, um offen zu sprechen, mein Mann und ich lassen uns scheiden, und für mich alleine ist es zu groß.«
»Oh.« Michael setzte ein, wie er hoffte, mitfühlendes Gesicht auf. »Das tut mir leid.«
»Ach was.« Sie winkte ab. »Sind Sie hier aus der Gegend?«
»Nein, wir... äh, wir sind aus New York«, log er. »Wir können es dort einfach nicht mehr ertragen, den Lärm, den Schmutz, die Menschenmassen. Stimmt's, Emma?«
Emma lächelte gezwungen. »Ja. Das Haus gefällt mir.«
»Nicht wahr? Das Wohnzimmer ist traumhaft, wie Sie ja sehen. Hohe Decken, echte Eichenbalken, viel Glas und reichlich Platz. Der Kamin zieht ausgezeichnet.«
Natürlich, dachte Emma. Hatte sie nicht oft genug davor gesessen? Das Zimmer war neu möbliert, und zwar mit allen Anzeichen schlechten Geschmacks. Scheußliche moderne Skulpturen zu einer protzigen Sitzgarnitur. Wo waren all die Kissen geblieben, und die Körbchen mit Strohblumen und Gräsern, die Bev so liebevoll arrangiert hatte?
»Das Esszimmer ist hier drüben, aber dieses Plätzchen an der Terrassentür ist wie geschaffen für ein lauschiges Essen zu zweit.«
Nein, das stimmte alles nicht, seufzte Emma, die der Frau wie ein Roboter folgte. Bev hatte Pflanzen ans Fenster gestellt, einen wahren Dschungel von Zimmerpflanzen in alten Töpfen und Keramikgefäßen. Stevie und Johnno hatten einmal keuchend und schnaufend einen ganzen Baum für sie angeschleppt. Die Aktion war als Scherz gedacht, doch Bev hatte den Baum behalten und ein kitschiges Gipsrotkehlchen in die Zweige gesetzt.
»Emma?«
»Ja?« Sie fuhr herum und löste sich von den Gedanken an die Vergangenheit. »Tut mir leid.«
»Das ist in Ordnung.« Die Frau schien hocherfreut, dass Emma offensichtlich von dem Haus ganz gefangen war. »Ich habe nur gefragt, ob Sie gerne kochen.«
»Nicht allzu gern.«
»Die Küche ist auf dem neuesten Stand der Technik. Ich habe sie vor zwei Jahren überholen lassen. Alles eingebaut, Mikrowelle, Dunstabzugshaube, Herd mit Ceranfeld, viel Arbeitsfläche. Und ein großer Vorratsschrank, natürlich.«
Emma betrachtete die hochmoderne, sterile Küche. Nur fleckenloses Weiß und Chrom. Verschwunden waren die
Kupfertöpfe, die Bev so oft poliert und dann an die Wand gehängt hatte. Keine selbstgezogenen Kräuter mehr auf dem Fensterbrett. Kein Kinderstuhl für Darren, keine bunten Kochbücher mehr, keine Apothekengläser voller Gewürze.
Die Frau plapperte eifrig weiter, offenbar betrachtete sie die Küche als Prunkstück des Hauses, während Emma stille Trauer empfand.
Als das Telefon klingelte, entschuldigte Mrs. Steinbrenner sich und ging ins Nebenzimmer, wo sie erregt und ärgerlich auf irgend jemanden einredete.
»Hört sich an, als hätten wir eine Weile Ruhe«, meinte Michael leichthin. »Bist du sicher, dass du nach oben gehen willst?«
Nein, sicher war sie sich nicht. Alles andere als das. »Ich kann nicht kurz vor dem Ziel aufgeben.«
»Gut.« Ungeachtet ihrer früheren Proteste, sie sei nicht aus Zucker, legte er ihr den Arm um die Schulter, als sie die Treppe hinaufstiegen.
Die Türen standen offen - die Türen des Schlafzimmers, in dem ihr Vater und Bev einmal geschlafen hatten. Wo Emma sie manchmal nachts lachen hörte. Alice' Zimmer, das immer penibel aufgeräumt und ordentlich gewesen war, hatte man in ein Fernsehzimmer umgewandelt. Und da war ihr altes Zimmer. Sie blieb stehen und spähte hinein.
Die Puppen waren fort, die Mickey-Mouse-Lampe auch. Keine weißrosa Rüschenvorhänge flatterten mehr an den Fenstern. Lange Zeit hatte hier kein kleines Mädchen mehr geschlafen und geträumt. Der Raum wurde jetzt offensichtlich als Gästezimmer genutzt.
»Das war mein Zimmer«, erklärte Emma tonlos. »Damals hatte es eine Tapete mit Rosen- und Veilchenmuster, Rüschenvorhänge und eine weiße Tagesdecke auf dem Bett. Ich hatte Regale voller Puppen... es war die Art
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