Naechtliches Schweigen
Zimmer, wie es sich alle kleinen Mädchen wünschen, zumindest eine Zeit lang. Bev hat das verstanden. Ich weiß gar nicht, wie ich auf die Idee gekommen bin, es könnte noch so aussehen wie früher.«
Er erinnerte sich an ein Zitat, das er einmal gelesen hatte und das ihn tief beeindruckte. »Alles ändert sich, doch nichts vergeht.« Achselzuckend drehte er sich zu ihr um. Er war nicht der Typ, der mit Zitaten um sich warf. »In deinen Gedanken hat sich hier nichts verändert, und nur das zählt.«
Sie gab keine Antwort, sondern sah zu Darrens Zimmer hin. Die Tür stand ebenfalls offen, wie es auch in jener Nacht der Fall hätte sein sollen.
»Ich lag im Bett«, begann sie leise. »Irgend etwas hat mich geweckt. Die Musik. Ich glaube, es war die Musik. Ich konnte sie zwar nicht deutlich hören, aber ich konnte sie fühlen. Das Vibrieren der Bässe. Ich versuchte zu erkennen, welches Lied das war, und ich stellte mir vor, was die Leute da unten wohl gerade machten. Ich konnte es kaum erwarten, endlich alt genug zu sein, um aufbleiben zu dürfen. Dann hörte ich etwas. Irgend etwas«, murmelte sie und rieb sich die schmerzenden Schläfen. »Ich weiß nicht, was. Aber ich - Schritte!« Plötzlich blitzten Erinnerungsfetzen auf. Ihr Herz begann wie rasend zu pochen. »Ich hörte jemanden in der Diele. Ich hoffte, es wäre Papa oder Bev. Ich wollte mich eine Weile mit ihnen unterhalten, vielleicht hätten sie mir dann erlaubt, kurz mit nach unten zu kommen. Aber es war weder Papa noch Bev.«
»Ruhig.« Besorgt sah Michael feine Schweißtröpfchen auf ihre Stirn treten. Er nahm ihre Hand zwischen seine. »Ganz ruhig.«
»Darren hat geweint. Ich konnte ihn hören. Ich bin mir ganz sicher. Das war kein Traum. Ich hörte ihn weinen und stand auf. Alice hatte mir verboten, Charlie in sein Bett zu legen, aber Darren schlief gerne mit Charlie im Arm, und er weinte. Ich wollte ihm Charlie bringen und ihn beruhigen, damit er wieder einschläft. Aber die Diele war dunkel.«
Sie sah sich um. Diele und Schlafzimmer waren in helles Sonnenlicht getaucht. »Es war dunkel, und das war falsch. Sie haben für mich immer ein Licht angelassen. Ich hatte solche Angst im Dunkeln. Im Dunkeln warten die Ungeheuer.«
»Ungeheuer?« Michaels Augenbrauen zogen sich zusammen.
»Ich wollte nicht ins Dunkel, in die Diele gehen. Aber Darren hat nicht aufgehört zu weinen. Und dann, als ich in der Diele, im Dunkeln war, konnte ich die Musik hören. Sie war laut, und ich hatte Angst.«
Wie ein Schlafwandler bewegte sich Emma langsam zur Tür. »Ich konnte sie hören. Sie hockten in den Ecken. Sie zischten, kratzten an der Wand. Sie huschten über den Teppich.«
»Was hast du gehört?« fragte er behutsam. »Was war da?«
»Die Monster.« Sie blickte ihn an, ohne ihn zu sehen. »Ich hörte die Monster. Und... ich kann mich nicht erinnern. Ich weiß nicht mehr, ob ich die Tür gegangen bin. Sie war zu, ich bin sicher, dass sie zu war, aber ich weiß nicht, ob ich sie aufgemacht habe.«
Emma blieb auf der Schwelle stehen. Einen kurzen Augenblick sah sie den Raum wieder so vor sich, wie er früher war - voll von Darrens Spielsachen und in hellen, freundlichen Farben gestrichen. Sein Bettchen, sein Schaukelstuhl, das glänzende neue Dreirad. Dann verschwamm das Bild vor ihren Augen, und sie befand sich wieder in der Gegenwart.
Ein Eichenholzschreibtisch, davor ein Ledersessel. Gerahmte Bilder, Glasregale voller Nippes.
Ein Arbeitszimmer. Sie hatten aus dem Raum ihres kleinen Bruders ein Arbeitszimmer gemacht.
»Ich bin gerannt«, sagte sie nach einer langen Pause. »Ich kann mich an nichts mehr erinnern, außer dass ich losgerannt und gefallen bin.«
»Du hast gesagt, du wärst zur Tür gegangen. Als mein Vater dich im Krankenhaus aufgesucht hat, hast du ihm erzählt, du hättest die Tür geöffnet.«
»Es war wie ein Traum. Und heute kann ich mich kaum noch erinnern. Als hätte jemand die Bilder ausgelöscht.«
»Das ist vielleicht ganz gut so.«
»Er war so niedlich.« Der Anblick des Raumes riss die kaum vernarbten Wunden wieder auf. »Ich habe ihn mehr geliebt als irgend etwas sonst auf der Welt. Jeder liebte ihn.« Tränenblind klammerte sie sich an ihm fest. »Ich muss hier raus!«
»Komm mit.« Michael führte sie durch die Diele zur Treppe, die sie in jener Nacht hinuntergefallen war, und warf Gloria Steinbrenner, die aus der Küche gestürzt kam, einen verzeihungsheischenden Blick zu. »Entschuldigen Sie, aber meine Frau fühlt
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