Naerrisches Prag
verletzte somit kein Ritual), spürte ich wieder einmal meinen unsichtbaren Begleiter hinter mir, das Wesen, das gleichzeitig an drei Tischen zu sitzen versteht. Ich war unterwegs, einen dritten Schriftstellerkopf zu besichtigen – war das ein Zufall oder eine Gegebenheit?
Der neue Kopf überraschte mich. Da blickte doch der Egonek von seiner Sockelhöhe von neuem auf mich hinunter und hatte dabei – eine Bronze-Zigarette in den Mundwinkel geklemmt. Bei dem lebenden Kisch war eine Zigarette in jeder Lage nichts Ungewöhnliches, eher normal. Aber auf dem Friedhof? So etwas gehört sich doch nicht! Was sagen die hiesigen Nachbarn dazu? Etwa die »Gattin des Direktors einer Zuckerraffinerie«, wie aufihrem Stein als nähere Bezeichnung oder eine Art Titel unter dem Namen der Dame zu lesen ist.
»Was soll diese Lausbüberei, Egonek«, flüsterte ich. »Du befindest dich doch hier in solider Gesellschaft.«
»Na und?« hörte ich prompt. »Habe ich mich ihren Mores jemals angepaßt? Erwartest du das von mir ausgerechnet von deinem Traumcafé aus?«
Ich schüttelte verneinend den Kopf, sah mich zugleich vorsichtshalber nochmals um. Wir waren, soweit ich das überblicken konnte, allein. Nur das Geahnte, Ungreifbare von den drei Tischen schien mich selbst hier nicht aus den Augen zu lassen.
Warum war mir diese Erscheinung ständig auf den Fersen? Weil ich die alleinige und ausschließliche Besitzerin eines Prager Traumcafés bin? Weil ich dort in verläßlicher Sicherheit für immer eine ganze Reihe von Bürgern unserer Stadt, auch zahlreiche ihrer Gäste, untergebracht habe? Sie gehörten zu Prag wie die Brücken über die Moldau, die Burg auf dem Hradschin, das Café Arco und die Slavia, die Antiquariate und die modernen Buchpaläste. Und sie sind hier, diese Prager, auch wenn sie nicht mehr da sind. Ist es etwa ihre schützende Hand, ihr nimmermüder Beauftragter, der lautlos fast überall mit mir ist?
Den toten Kisch schmückt schon der dritte Kopf. Das Museum mit den Sex Machines in der Melantrichgasse umfaßt drei Stockwerke. Als ich meine Stippvisite dort beendete, schlug es drei Uhr am Altstädter Rathaus. Mein stummer Begleiter sitzt, weil es offenbar so sein muß, gleichzeitig an drei Tischen. Wir waren drei Mädchen bei uns zu Hause – man könnte abergläubisch werden.Der Gedanke an die Zigarette im Mundwinkel des Bronze-Kisch-Kopfes ließ sich nicht aus meinem lebendigen Kopf vertreiben. Wäre Egon Erwin auf dem jüdischen Friedhof bestattet, hätte man eine solche Extravaganz kaum zugelassen, dort achtet man die alten Gesetze. Eine derartige Kühnheit hätte Aufsehen erregt, wahrscheinlich Proteste hervorgerufen und in den Medien ein Für und Wider. Den rasenden Reporter hätte so ein Trubel freilich keineswegs beunruhigt, er hätte ihm sogar gefallen. An seiner bescheidenen Ruhestätte neben dem imposanten Bau des zentralen Krematoriums ließ dieser Fauxpas die Toten und ihre lebenden Besucher völlig kalt.
Ich ließ jedoch durch die freundliche Vermittlung eines journalistischen Kollegen beim Autor des Kopfes, genauer der beiden bislang letzten Köpfe, anfragen, ob ihm ein Besuch meinerseits willkommen wäre. Die Antwort war positiv, und so machten wir uns bald auf den Weg.
Das Atelier des Bildhauers befindet sich auf der Kleinseite in einem alten Haus, das einer bekannten Prager Schauspielerfamilie gehört. Wir wurden in einem frisch getünchten Gewölbe empfangen. Der Künstler entschuldigte sich, er stecke noch in Renovierungs- und Einzugsarbeiten, habe die Absicht, hier eine kleine Galerie einzurichten. Wir entschuldigten uns, ihn im Laufe dieser Arbeiten zu stören.
Aus dem ersten wurden wir in einen zweiten, gleichfalls gewölbten Raum geführt, in dem ein sehr fester länglicher Tisch stand und auf ihm eine Flasche Rotwein. Meinen Blick zog jedoch ein ganz anderer Gegenstand auf dem dunklen Möbelstück an. Dort stand auf einem winzigen Sockel ein winziger Kischkopf mit einer winzigenZigarette im Mundwinkel. Sogar mehrfach. Eine ganze Reihe schmauchender Kischköpfchen.
Dem Bildhauer entging mein überraschtes Gesicht nicht.
»Sie können die Büste getrost in die Hände nehmen«, forderte er mich schmunzelnd auf. »Gefällt Ihnen der Kopf? Sind Sie diesmal zufrieden?«
Mein Kollege warf mir einen bedeutsamen Blick zu. Aufgepaßt, sollte der mir sagen, jetzt ist es so weit! Ich spitzte die Ohren und wartete, was nun kommen würde. Denn gegen den zweiten Kisch-Kopf aus derselben
Weitere Kostenlose Bücher