Naerrisches Prag
bereits voll gestillt. Bleiben Sie gesund«, wünschte ich dem jungen Mann in dem halbdunklen, von Lichtflimmern durchzuckten Raum mit der dumpfen Musik und entwich auf die Straße.
Auf dem Altstädter Ring bot mir jemand einen mechanisch herumhüpfenden roten Plüschkäfer an. Im GeburtshausFranz Kafkas hat sich ein Bierlokal namens Kafka etabliert. Es war voll besetzt. Ein von zwei Pferden in buntem Geschirr gezogener Fiaker mit einem hübschen Mädchen in phantasievoller Uniform auf dem Kutschbock fuhr eine Gruppe italienisch lärmender und singender junger Leute durch die Altstadt. Es schlug drei Uhr, und vor dem alten Rathaus stand dicht gedrängt eine große Menschenmenge. Zur lauten Begeisterung von Groß und Klein zogen unter der Turmuhr die zwölf Apostel vorbei und am Ende der Geizhals mit seinem Geldbeutel und der Todesmann mit der Sense. Dann krähte der Hahn, und die Schau war für eine weitere Stunde vorbei.
Nicht lange nach meinem ungewöhnlichen Museumsbesuch, an einem Regentag, an dem pausenlos große Wassertropfen gegen die Fensterscheiben klopften, meldete mir jemand am Telefon: »Der Kisch hat schon wieder keinen Kopf!«
Zuerst hielt ich diese Mitteilung für einen nicht überaus witzigen Scherz, es stellte sich jedoch heraus, daß es sich hierbei um eine zwar verwunderliche, jedoch unumstößliche Tatsache handelte. Im Laufe einer relativ kurzen Zeitspanne hatte es jemand zum zweiten Mal auf den Bronzekopf des bekannten Schriftstellers an seiner erdgebundenen Ruhestätte abgesehen? Warum? Weil in diesen Zeiten Buntmetall auf dem Schwarzmarkt hoch im Kurs stand? Das genügte mir nicht mehr. Warum muß es immer der Kopf eines Schriftstellers sein und nicht etwa der eines Finanzbeamten oder Advokaten oder einer zu ihren Lebzeiten allgemein bewunderten Dame? Solche Personen gibt es ja reichlich an diesen Stätten, man mußsich nur auf den schmalen Wegen zwischen den mit eingemeißelten Inschriften versehenen Steinen ordentlich umsehen, um sich zu überzeugen, wie bunt die Gesellschaft ist, die sich hier, nicht unbedingt aus eigenen Stücken, zusammengefunden hat. Ist dieses Kopfklauen auf einem Friedhof gar eine Spezialität von Prag geworden, eine neuartige »Folklore«, wie verschiedenes Gebaren jetzt in den Medien gern bezeichnet wird?
Beunruhigt durch allerlei solche Fragen, machte ich mich auf den Weg, um mich vom Zustand des Kisch-Grabes an Ort und Stelle zu überzeugen.
»Hier ist eine phantastische Reportage im Gang, die du leider versäumst, mein Lieber«, sprach ich vor dem grünlich-weißen Marmorsockel mit der tatsächlich abermals bloßgelegten Schraube an seiner Spitze den zu Lebzeiten »rasenden« Reporter halblaut an, um die ringsum friedlich ruhenden Nachbarn von Gisl und Egon Erwin in ihrem ewigen Schlaf nicht zu stören. »Du bist schon wieder kopflos, mein verehrter Freund. Die Gisl empört das gewiß, aber was hättest du aus dieser sich wiederholenden Begebenheit machen können! Und weil du auch mit einer guten Portion Selbstbewußtsein ausgestattet warst, wärest du wohl dem begeisterten Sammler von Kisch-Köpfen, wie du den Ganoven wahrscheinlich bezeichnet hättest, du wärest ihm zu gern auf die Spur gekommen. Zweifellos hättest du uns, deinen Lesern, dabei, wie es deine Art war, auch etwas von der Geschichte der Metallogie der Buntmetalle erklärt, vom Ursprung und der Verwendung von Quecksilber, Kupfer, Blei etc. Denn du warst bei deinen Recherchen gründlich und exakt.«
Solche Gedanken bestürmten mich vor dem bestohlenen Marmorsockel, weil ich etliche Jahre die Möglichkeithatte, die Arbeitsmethoden Kischs aus der Nähe beobachten zu können.
»Der Kisch hat schon wieder einen Kopf!«
Ob es an dem Tag, an dem mich geraume Zeit später nun wieder diese gute Nachricht erreichte, ob es gerade regnete oder die Sonne schien, weiß ich nicht mehr. Ich weiß nur, daß ich zuerst staunte, mich dann natürlich freute und schließlich einen Stoßseufzer nicht unterdrücken konnte:
»Jetzt muß ich also wieder hingehen, denn das neue Haupt will ich mir selbstverständlich anschauen, diesen dritten Kopf auf dem geduldigen Marmorsockel. Zu dumm, Egonek, daß wir einander jetzt immer auf dem Friedhof begegnen. Ein Kaffeehaus wäre mir lieber.«
Halt! Ein dritter Kisch-Kopf? Als ich am Friedhofseingang ein Blumentöpfchen kaufte, um vor allem Gisl eine Freude zu machen und nicht mit leeren Händen meinen Besuch abzustatten (hier war es nämlich kein jüdischer Friedhof, ich
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