Naerrisches Prag
Eingang, keinesfalls vor dem mir schon bekanntengroßen Tor, sondern vor einer mit Metall beschlagenen schmalen Tür, warteten ein paar Frauen, Beutel und Taschen mit allerhand Proviant in den Händen. Wir hatten nichts mit, wollten ja auch niemanden besuchen.
»Nehmen Sie nebenan Platz«, sagte der Sicherheitsbeamte, der unsere Papiere und auch uns selbst einer eingehenden Kontrolle unterzogen hatte. »Sie werden erwartet.« Diese Worte erschreckten mich zunächst, gleich darauf mußte ich aber lachen. Ich werde hier erwartet! Mein Begleiter nickte mir beruhigend zu, als ich es nervös ablehnte, mich in dem kleinen Raum niederzusetzen. Ich blickte mich um, und mit einemmal erwachte in mir eine meiner zahlreichen kuriosen Erinnerungen in diesem kuriosen Zusammenhang.
Vor vielen Jahren habe ich in Mexiko Egon Erwin Kisch begleitet, der den sonderbaren Wunsch hatte, Jacques Mornard, den vermutlichen Mörder Leon Trotzkis, im Gefängnis aufzusuchen und zu einem Gespräch zu bewegen.
»Ich kann doch nicht jahrelang an diesem Ort sitzen und mir einen solchen journalistischen Hit entgehen lassen. Meine Leser würden mir das nicht verzeihen«, dozierte der rasende Reporter. »Und du kommst mit, damit du siehst, wie man so eine heikle Sache anpacken muß.«
Also kam ich mit einem leichten Kribbeln im Magen mit, konnte mir nicht vorstellen, einem, und sei es bislang nur vermutlichen, Mörder gegenüberzustehen. Aus dem Besuch und Gespräch wurde jedoch zu meiner Erleichterung und Kischs Enttäuschung nichts. In der Anstalt fand gerade ein Fußball-Wettspiel der Häftlinge statt, und Mornard, so teilte man uns am mächtigen Gittertor mit, sei der Kapitän einer der Mannschaften und absolut unabkömmlich. Für wie lange? Das wisse niemand, erklärte man unsmit einem offiziellen und kategorischen Achselzucken. Unverrichteter Dinge marschierten wir nach Hause.
Jetzt aber, beim Besuch des Prager Gefängnisses, hätte ich meinen erfahrenen Nachbarn aus der Melantrichgasse wieder einmal gern an meiner Seite gehabt. »Nimm dich zusammen«, würde er mir wahrscheinlich sagen, »du bist nicht hergekommen, um dich aufzuregen, sondern um eine delikate Institution von Prag zu besichtigen. Schau dich ordentlich um, und dabei kannst du, was du anscheinend recht notwendig hast, auch deine zweifellos zu Schaden gekommene Seele ein bißchen kurieren.«
Nach ein paar Minuten erschien eine freundliche junge Frau in der Tür des Warteraums. Ich registrierte, daß sie keine Uniform, sondern ein geblümtes Kleid anhatte.
(»So ist es richtig«, brummte Kisch von seinem Stammplatz in meinem Traumcafé, »achte auf alle Kleinigkeiten, wie ich dir immer ans Herz gelegt habe, das erfordert unser Métier.«)
Die Frau stellte sich als Sprecherin der Anstalt vor. Das erstaunte mich. Diese bei uns erst vor kurzem eingeführte Funktion mußte es neuerdings anscheinend überall geben.
Ich wurde höflich befragt, was ich in dem Gefängnis sehen wollte.
»Vor allem den Korridor«, platzte es aus mir heraus, »das Gebäude von innen und wenn möglich auch den Ausgehhof.«
Der Korridor war weiß getüncht, auch die schweren Zellentüren waren hell angestrichen. In meiner Erinnerung oder Phantasie schwebten mir nur düstere Farben vor. Wahrscheinlich stimmte das auch mit der Realität der fünfziger Jahre überein. Die aufklappbare Öffnung für denEinblick in die Zellen, der sogenannte »Spion«, schien mir überraschend groß zu sein. In meinem Kopf blieben runde »Spione«, in denen nur ein kontrollierendes Auge Platz hatte.
»Möchten Sie in eine Zelle hineinschauen?« fragte die freundliche Sprecherin und ging auch schon daran, eine der Öffnungen aufzuklappen.
»Ja, danke, aber nur, wenn gerade niemand drin ist«, antwortete ich schnell, wollte auf keinen Fall einen gefangenen Menschen betrachten.
(»Du befindest dich nicht in einem Sanatorium«, glaubte ich abermals den Meister der Reportage zu vernehmen, »sondern in einem Kittchen. In einem Rechtsstaat sitzen nur ausnahmsweise auf Grund eines Justizirrtums unschuldige Menschen hinter Gittern. Du mußt die Denkbahnen von gestern verlassen, jetzt ist doch alles schon anders, selbst aus der Perspektive von hier oben. Sonst würdest du ja überhaupt nicht in diesen Korridoren herumspazieren können, verstanden?«)
Ich riß mich zusammen, preßte ein Auge an den »Spion« und sah ein Bettgestell mit zwei übereinander angebrachten Pritschen, einen Holztisch, keinen Abtritt wie zu »meiner«
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