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Naerrisches Prag

Naerrisches Prag

Titel: Naerrisches Prag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lenka Reinerová
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ich also anerkannter Bürger von Europa sein. Aber bitte auch Bürger von Prag, das darf auf keinenFall verlorengehen, wenn schon mein heimlicher Herzenswunsch nicht erfüllt werden kann: Ich hätte nämlich gern einen Paß, in dem in der Rubrik Staatszugehörigkeit kein durch Gewaltakte, Umstürze und sonstige Begebenheiten beeinflußbarer Begriff eingetragen wäre, sondern schlicht und einfach »Bürger von Prag«. Das wäre für mich ein Feiertag, ist aber eben nur ein Traum, eine Seifenblase in hauchdünnen, schillernden Märchenfarben.
    Kein Traum, vielmehr handfeste Wirklichkeit war ein Erlebnis, das erstaunlich, im Grunde genommen aber nicht so ganz überraschend war. Eines Tages vor nicht allzu langer Zeit, genauer gesagt in der Dämmerstunde jenes Tages, bin ich mitten in Prag Franz Kafka begegnet. Seither ist das nichts so Ungewöhnliches mehr, sondern jedem möglich, der diesen Wunsch in sich trägt. Denn der berühmte Autor sitzt nunmehr ganz zufrieden auf den Schultern eines Metallriesen ohne Kopf und Hände, hat ein Hütchen auf seinem Haupt und streckt seinen Zeigefinger aus. Der weist allerdings ins Leere.
    Wer sich angesichts dieses überraschend gestalteten Schriftstellerdenkmals den Kopf zerbricht, was den Künstler gerade zu einer solchen Auffassung inspiriert hat, dem sei empfohlen, Kafkas Erzählung »Beschreibung eines Kampfes« nachzulesen. Ihre Handlung bietet, so heißt es, einen Hinweis darauf, was die Phantasie und die Hand des Bildhauers beschwingte. Überdies kann freilich jeder Betrachter seiner eigenen Interpretation freien Lauf lassen.
    Ich selbst stand schon wiederholt nachdenklich vor dieser Statue, atmete die Prager Altstadtluft ein, hing demunsinnigen Wunsch nach, in diesen Gassen dem lebenden Autor und seinen damaligen Kollegen begegnen zu können – und mußte mir betrübt eingestehen, daß der wohl berühmteste von ihnen nur mehr stumm und in Bronze gegossen noch mit mir da ist.
    All dies kann man auf einem Platz erleben, den Kafka –
    nicht in Metall gegossen – zweifellos recht gut kannte. Wer weiß, wie oft er hier durchgelaufen ist, da er doch ganz in der Nähe auf die Welt kam und auch unweit von diesem Prager Winkel die Schule besucht hat. Vom Durchlaufen kann jetzt allerdings keine Rede mehr sein. Auf dem stillen kleinen Raum zwischen der Kirche des Hl. Geistes und der Spanischen Synagoge ist Franz Kafka nun ein für allemal – so wollen wir hoffen – unverrückbar angesiedelt. Vom Altstädter Ring besuchen ihn neugierige Tauben, von der nahen Moldau fliegt mitunter eine schöne weiße Möwe vorbei.
    Mich aber führt noch ein durchaus persönliches Anliegen immer wieder an diese Stelle. Heimlich erwarte ich hier, an der Grenze zwischen der Josefstadt, der traditionellen Siedlungsstätte der Prager Juden, und der Altstadt, die so viele unbarmherzige Umstürze zu überleben verstand, vielleicht eine Antwort auf meine ständige Frage: Wer oder was ist die Erscheinung, die es fertigbringt, gleichzeitig an drei Tischen zu sitzen, mich, so empfinde ich es, begleitet, beunruhigt und beschützt, umgibt, ohne gesehen zu werden, und immer da ist. Nicht wie ein Schatten, eher wie ein Streifen Licht. Und warum an drei Tischen?
    Aber Kafka blickt nur wortlos auf mich hinunter, nimmt den kleinen Hut nicht ab, steckt die Hand nicht in die Rocktasche, und sein Zeigefinger weist weiterhin unbeirrtin die Ferne. Heißt das etwa, daß ich eine Antwort auf die Frage, die mich bedrängt, anderswo suchen muß? Aber wo?
    Und dann geschah eines Tages, der sich durch nichts von den vorangegangenen unterschied, daß mir ganz unvermutet ein Licht aufging:
    Die drei Tische sind gar keine richtigen Tische, glaubte ich in diesem Augenblick zu erkennen und erschrak dabei ein wenig. Die gaukelt mir in dieser Gestalt offenbar nur meine Phantasie vor. Wollte ich gar versuchen, mich an einem von ihnen niederzulassen, würden sich die beiden anderen zweifellos sofort herandrängen. Denn diese drei Rätselhaften können nur miteinander bestehen. Wollte ich sie benennen, müßte ich wohl dem einen den Namen Vergangenheit zusprechen, dem nächststehenden Gegenwart und den leicht vorgerückten Zukunft heißen. Denn sie gehören untrennbar zusammen, diese drei, und ich kann und will auch gar nicht einen von den beiden anderen lösen.
    Als mir plötzlich diese Erkenntnis kam, saß ich gerade auf einer Bank auf der Sophieninsel in der Nähe des Nationaltheaters. Vielleicht meinte ich auf einmal zu verstehen,

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