Naerrisches Prag
Winterkälte aufholenden Sonnenstrahlen, sah ich mich nach der Möglichkeit eines kleinen Ausschnaufens um. Ich verließ die Insel, überquerte das kurze Brücklein, lief ein bißchen an der Moldau entlang und landete, ohne es eigentlich gewollt zu haben, unter dem Gemälde mit dem grünen Absinthtrinker im Café Slavia. Hier bin ich ihm ja zum erstenmal begegnet, meinem Unruhegeist an den drei Tischen. Viktor Oliva heißt der Maler, der das große Bild geschaffen hat, das hier seit vielen Jahren an der Wand hängt. Inzwischen gehört es zu dem Lokal wie die Tische und Stühle unter ihm.
Wieso heißt der Autor dieses grünlich vernebelten Trinkermilieus gerade Oliva? Hätte er uns eine andere Kaffeehausatmosphäre hinterlassen, hieße er Roth, Blaukopf oder Goldberg?
Auf solchen Bahnen bewegten sich meine Überlegungen an jenem schon erwähnten philosophischen Tag, als ich es mir auf einem der mit braunem Kunstleder überzogenen Polstersitze bequem machte.
Ich bestellte einen Kaffee, selbstverständlich tschechisch. Ein Bekannter ging vorbei und wünschte mir in deutscher Sprache einen guten Tag. In der Zeitung, die mir ein junger Kellner mit einem freundlichen Lächeln unaufgefordert auf den Tisch legte, wurde u. a. ausführlich über ein bevorstehendes Festival jüdischer Kultur in der tschechischen Hauptstadt berichtet. Ein Prager Alltag, nicht weiter bemerkenswert.
Verstohlen blickte ich zu dem grünen Absinthtrinker hinüber. Er rührte sich natürlich nicht, schaute wie schon seit Jahren versonnen aus seinem Rahmen in das lebhafte Getriebe in dem großen Raum. Dennoch hatte ich an jenem Tag das Gefühl, er sei bei dem, was ringsum vorging, irgendwie mit im Spiel. Ich saß an einem Tisch, eine Person von vielen, allerdings eine gebürtige Pragerin, und empfand in dieser in keinerlei Weise besonderen Stunde wieder einmal, in den drei Kulturen verstrickt und vernetzt zu sein, die in dieser Stadt gleich mir ein Heimatrecht und in diesem Café gleichfalls ein angestammtes Gastrecht haben.
Könnten am Ende für sie die drei Tische symbolisch sein, die in mir gepaart mit dem Bewußtsein der Dreiheit der Zeit herumspuken?
Wie ich schon bemerkte, ich hatte wieder einmal meinen nachdenklichen Tag, an dem mich stets die kuriosesten Fragen beunruhigen.
Aber man muß ja nicht alle Antworten wissen. Wenn sich jedoch, wie so oft, das nächstemal jemand bei mir erkundigenwird, ob ich sagen kann, was das Magische, das undefinierbare Zauberhafte, Allgegenwärtige und Einmalige in Prag ist, werde ich wahrscheinlich, wie immer, nach leichtem Zögern andeuten, was ich selbst zu begreifen versuche.
Prag ist bis heute dank seiner Anlage und als Metropole eines recht kleinen Staates eine intime Großstadt. Es verkörpert die endlose Reihe unserer Träume und Wünsche, verwoben mit der bestehenden Wirklichkeit, für die wir jedoch mitverantwortlich sind. Sein Zauber mag das untrennbare Nacheinander, Nebeneinander, ja auch Gegeneinander sein, dem wir in dieser Stadt immer wieder begegnen. Und neben seiner Eigenart und Schönheit ist es nicht zuletzt auch der erprobte, stets wiederkehrende, Prüfungen trotzende Lebenswille dieses zweifellos auch leicht närrischen Prag.
Ein überraschend lautes Geräusch, dem ein kleiner Auflauf an der Tür folgte, riß mich aus meinem liebevollen Sinnen über die Einzigartigkeit meiner Heimatstadt. Ein offensichtlich recht betrunkener oder mit noch verräterischeren Mitteln berauschter Mann »in den besten Jahren« stolperte lärmend in das Café und stürzte über einen der ersten Tische, an dem zwei ältere Damen angstvoll wie ein Paar Fledermäuse aufschreckten, mit dünnen Stimmchen protestierten und um Beistand riefen. Da rannten auch schon Kellner und Kellnerinnen herbei und drängten den ungebetenen Gast aus dem Lokal. Das ging nicht ganz glatt, der Mann wehrte sich, behauptete, dringend einen Kaffee zu benötigen – was gewiß stimmte –, und brachte es auch noch fertig, in der festen Umklammerung kräftiger Kellnerarme den beiden aufgescheuchten Frauen mit einem artigen Kopfnicken zuzurufen:
»Pardon, meine schönen Damen, mein Kompliment und höchsten Respekt. Erlauben Sie mir ...«
Was sie ihm erlauben sollten, haben wir nicht mehr erfahren, denn da wurde der höfliche Eindringling schon zur Tür hinausgeschoben.
Mich versetzte dieser Einbruch von der Straße im richtigen Augenblick zurück in den nüchternen Alltag. Ich langte nach meiner Zeitung, aber da ging die Tür von
Weitere Kostenlose Bücher