Naerrisches Prag
jetzt von dem inzwischen auf internationales Niveau gebrachten, sozusagen »erwachsenen« Prager Flughafen zu einer Reise ins Ausland starte, muß ich an dieses zuerst so unerfreuliche Erlebnis mit einem so erfreulichen Ende denken, das mir meine liebe und närrische Heimatstadt vor Jahren bereitet hat.
Wie ist das, mein unsichtbares Etwas, das gleichzeitig an drei Tischen sitzen kann, haben diese Zufälle, diese Widersprüche und oft geradezu halsbrecherischen Wandlungen in meiner Lebensbahn mit dem spiritus loci im historischen Auf und Ab in diesem Land und seiner Hauptstadt zu tun? Wer oder Was bestimmt das Abgleiten und dann wieder den festen Boden unter meinen Füßen? Ist dabei mein Zutun belanglos oder unentbehrlich? Wie weit kann und darf ich mein Schicksal in die eigene Hand nehmen? Kann ich jemals mit einer Antwort auf solche Fragen rechnen?
Daß ich eines Tages ein häufiger Flugpassagier sein werde, habe ich wirklich nie geahnt und schon gar nicht, als ich dieses Abenteuer zum erstenmal unternahm.
Ich glaube, es war am Ende des Jahres 1950 , als nach Warschau eine wirklich große internationale Tagung einberufen wurde, bei der ein Weltfriedensrat gegründet werden sollte. Die Zusammenkunft wurde wie vieles in jener hektischen Nachkriegszeit Hals über Kopf organisiert, manches im allerletzten Augenblick.
Und so klingelte eines Abends um acht Uhr das Telefon in unserer Wohnung, und ich wurde ersucht, mich um neun Uhr auf dem Prager Flughafen einzufinden. Man habe im letzten Augenblick festgestellt, daß es in Warschau an Menschen mit der Kenntnis von Fremdsprachen mangelte. Man bitte mich dringend zu helfen. Am nächsten Tag um 10 Uhr morgens müsse in Polen die Tagung beginnen.
Dort schien ja ein prächtiges Durcheinander zu sein! Allein das war nichts gegen das Durcheinander, das diese Aufforderung in mir auslöste. Ich war bis dahin noch nie mit einem Flugzeug gereist, hatte bislang nur einmal versuchsweise gedolmetscht, konnte mir nicht vorstellen, in einer Stunde reisefertig zu sein, mußte für Kind und Mann den Haushalt organisieren, war froh, daß man bei einer so bedeutsamen Aktion mit mir rechnet, hatte Flugangst, Reise- und Lampenfieber. Und erschien eine Stunde später, pünktlich um neun Uhr, auf dem schlecht beleuchteten Flugplatz. Zu meiner Erleichterung begegnete ich dort einer Gruppe ähnlich zusammengetrommelter Amateur-Dolmetscher, von denen ich einige gut kannte.
Das Flugzeug, das für uns bereitstand, war nicht groß, nicht sehr bequem, unangenehm kühl. Es knatterte laut und sauste, wie mir schien, stellenweise ein bißchen ruckartig durch den schwarzen Nachthimmel. Kein besonderes Vergnügen, in der Eisenbahn fühlte ich mich wohler.
Hinter mir saß ein indisches Ehepaar, und der Mann ermahnte seine Frau kurz nach dem Start: »Nimm das Gebiß aus dem Mund!«
Was war nun das wieder? Ich beunruhigte mich. Warum sollte sie das tun? Drohte uns irgendeine Gefahr? Warum, zum Teufel, bin ich nicht hübsch zu Hause in Prag geblieben?
Allmählich begann das Flugzeug zu sinken, unter uns tauchten Lichter auf. Kurz darauf landeten wir mit einem kräftigen Ruck auf dem spärlich beleuchteten Flugplatz der polnischen Hauptstadt. Ich habe meinen ersten Flug unbeschadet überlebt.
Seither hat sich ringsum und auch in meinem Leben alles von Grund auf geändert. Jetzt besitze ich sogar ein Kärtchen, das mich als »frequent flyer« ausweist. So etwas hätte ich mir trotz meiner recht lebhaften Phantasie im dunklen Nachthimmel über Warschau nie vorstellen können.
Im Rahmen des schon erwähnten Auf und Ab in meinem Dasein wurde ich zu meinem überhaupt ersten Fernsehauftritt vom ZDF in Mainz eingeladen. Vielleicht weil ich in dieser Hinsicht durchaus unerfahren war, beantwortete ich ohne Hemmungen die mir gestellten Fragen und verhielt mich im ganzen völlig unbeschwert und natürlich. Gerade darum erntete ich wohl am Ende der live gedrehten Sendung spontanen Applaus nicht nur der Redakteure, sondern auch der technischen Mitarbeiter des Fernsehens, und sie überreichten mir einen riesigen, angeblich erst während der erfolgreich verlaufenden Arbeit besorgten Blumenstrauß. Mit dem im Arm trat ich am nächsten Morgen meinen Rückflug nach Prag an.
Der Zufall wollte es, daß ich bei der Abfertigung einem bekannten tschechischen Journalisten begegnete, der gleichfalls auf den Heimflug nach Hause wartete.
»Donnerwetter«, rief er, »das ist ja ein Blumenstrauß wie für Marlene
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