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Naerrisches Prag

Naerrisches Prag

Titel: Naerrisches Prag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lenka Reinerová
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Dietrich!«
    Wir betraten gemeinsam den Flugplatz. In dem Augenblick verließ eine Stewardeß die schon bereitstehende Maschine, lief uns entgegen, nahm mir meine Blumen »wie für Marlene Dietrich« ab und rief:
    »Hierher, die Herrschaften, der Eingang zur business class ist hier.«
    Ich wollte etwas sagen, aber da faßte mich mein Kollege am Arm und lenkte mich in die angedeutete Richtung. »Hierher, Madame«, flüsterte er mir dabei zu, »heute fliegen wir business dank deiner Blumenpracht.«
    Bei unserer Ankunft in Prag war der imposante Strauß noch ziemlich frisch und ich schon ein wenig hergenommen, aber zufrieden und glücklich, wieder zu Hause zu sein.
    »Wie war es?« rief mein Mann, als ich in der Wohnungstür erschien.
    »Normal«, antwortete ich und schob ihm meine Rosen unter die Nase. »Hast du etwas anderes erwartet?«
    In den letzten Jahren bin ich nun häufig zwischen Prag und London unterwegs. Immer ersuche ich um einen Fensterplatz, weil ich dem lieben Gott so gerne in sein stets strahlend blaues Himmelszelt gucke.
    Eines Tages installierte ich mich auf dem Prager Ruzyně-Flugplatz wieder einmal zufrieden auf dem mir zugewiesenen Fensterplatz in der zum Abflug bereiten Maschine, stellte dabei erfreut fest, daß der Sitz neben mir unbesetzt blieb, und brachte dort meine Handtasche undZeitung unter. Auf den übernächsten Platz ließ sich ein Mann mittleren Alters mit leicht dunkel getönter Hautfarbe nieder. Offenbar ein Roma.
    Die Maschine startete, glitt einige Minuten über die Rollbahn, schoß dann jäh in die Höhe. In diesem Moment erwischte der Mann über den unbesetzten Platz zwischen uns mit festem Griff meinen Arm, preßte ihn krampfhaft.
    Ich fuhr herum. Mein Sitznachbar war blaß geworden, sah nicht gewalttätig aus. Das Flugzeug glitt nun regelmäßig surrend durch bauschige weiße Wolkenballen.
    »Verzeihen Sie«, murmelte der Mann tschechisch und ließ mich los. »Ich fühlte mich auf einmal elend, bin zuckerkrank und geriet in Panik.«
    Wir kamen ins Gespräch. Vor uns saßen zwei Mädchen mit ihrer Mutter, das war seine Familie. Sie waren in der Tat Roma und wollten nach England auswandern. Keiner von ihnen konnte auch nur ein Wort Englisch.
    »Warum wollen Sie weg, war es zu Hause so schlimm?«
    »Ohne Zukunft«, lautete seine lakonische Antwort.
    Die Familie kam aus Nordböhmen, der Mann hatte einen Beruf, den er ausübte, die beiden Mädchen besuchten die Schule. Aber Freunde schrieben, in England sei das Leben viel besser, und so hatten sie alles verkauft und waren nun unterwegs »in ein Leben mit Zukunft«.
    »Es wird für Sie ziemlich schwierig sein, ohne Sprachkenntnisse«, sagte ich.
    »Unsere Leute kennen mich und erwarten uns«, bemerkte er selbstbewußt, wobei freilich leise Unsicherheit nicht zu überhören war.
    Der Himmel hoch oben, auch diesmal strahlend blau, schien mir mit einemmal dennoch ein wenig verdunkelt.Will ich nur die schönen Seiten von Prag und meiner Heimat wahrhaben? zog es mir durch den Kopf. Ich weiß doch von den Schwierigkeiten unserer Roma-Mitbürger, sie leben ja auch in meiner unmittelbaren Nachbarschaft. Ich begegne ihnen fast täglich. Die Zeitungen, der Rundfunk, das Fernsehen bringen laufend Nachrichten zu diesem Problem. Aber jetzt saß ein nicht ganz gesunder Mann neben mir und zog los mit seiner Frau und zwei Kindern in eine verheißungsvoll erscheinende völlig fremde Welt. So ein hautnaher Kontakt ist etwas ganz anderes als die beste Reportage in den Medien. Zudem weiß ich aus eigener Erfahrung, wie schwer man es in der Fremde hat und wie schwierig das Eingewöhnen sein kann. Und welches Glück es ist, wenn man als vollberechtigter Bürger in seiner Heimat leben kann. Vollberechtigt, denn ohne diese Voraussetzung stimmt das Ganze nicht. Davon weiß ich ein Lied zu singen. Deshalb trifft es mich auch so schmerzlich, wenn ich zugeben muß, daß in Prag gleichfalls bei weitem nicht alles immer so ist, wie ich es gern verwirklicht und verbürgt haben möchte.
    Bis diese Zeilen meine Leser erreichen, wird meine kleine Tschechische Republik schon Mitglied der großen Europäischen Union sein. Und wenn ich dann das nächste Mal nach London fliegen werde, muß ich nicht mehr in der Schlange jener Wartenden stehen, die – was mich bei jeder Ankunft unangenehm berührte – unter dem Schild »All others« aufgereiht werden. Klingt das nur mir ein wenig abwertend? Alle anderen – im Unterschied zu den willkommenen EU-Bürgern?
    Und so werde

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