Nahe dem wilden Herzen (German Edition)
sie setzte träufelnd weiter ihr Lob auf die Mietpreise der Gegend fort.
»Ich glaube nicht, dass das Haus in Frage kommt, es ist zu groß für ein Ehepaar«, sagte Joana hastig, etwas schroff. »Aber«, und sie gab ihren Worten einen sanfteren Klang, verbarg ihr Verlangen, »kann ich Sie hin und wieder besuchen, damit wir uns unterhalten können?«
Die Frau war nicht überrascht. Sie strich sich über die Taille, die durch die Mutterschaft und die Langsamkeit ihrer Bewegungen breiter geworden war:
»Das wird kaum möglich sein, glaube ich … Morgen werde ich meinen Sohn besuchen. Er ist verheiratet. Ich werde verreisen …«
Sie lächelte ohne Freude oder Erregung. Bloß: ich werde verreisen. Was interessierte diese Frau wohl?, fragte sich Joana. Ob sie wohl einen Geliebten hatte …
»Leben Sie allein?«, fragte sie.
»Meine jüngste Schwester ist Nonne geworden. Ich lebe mit der anderen zusammen.«
»Ist es nicht trostlos, ohne einen Mann im Haus zu leben?«, fuhr Joana fort.
»Meinen Sie?«, erwiderte die Frau. »Ich frage, ob Sie das so empfinden, nicht ich. Ich bin verheiratet«, fügte Joana hinzu in dem Versuch, der Unterhaltung eine vertrauliche Note zu geben.
»Ach nein, ich finde das nicht trostlos.« Und sie lächelte farblos. »Nun, ich darf mich verabschieden, da das Haus Sie nicht interessiert. Ich muss noch etwas Wäsche waschen, bevor ich etwas Abkühlung am Fenster suche.«
Joana machte sich gedemütigt auf den Weg. Eine Schwachsinnige, zweifellos … Aber die Stimme? Sie konnte sie für den Rest des Nachmittags nicht loswerden. Ihre Phantasie rannte los auf der Suche nach dem Lächeln der Frau und ihrem großen, ruhigen Körper. Sie hatte keine Geschichte, erkannte Joana langsam. Denn wenn ihr Dinge widerfuhren, dann waren diese Dinge nicht sie, vermischten sich nicht mit ihrer eigentlichen Existenz. Das Entscheidende war – Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft eingeschlossen –, dass sie lebte. Dies war der Hintergrund der Erzählung. Manchmal erschien dieser Hintergrund erloschen, die Augen geschlossen, fast nicht vorhanden. Aber es genügte eine kleine Pause, ein kurzes Schweigen, und er vergrößerte sich ins Riesenhafte und schob sich in den Vordergrund, mit offenen Augen, ein leichtes, unaufhörliches Murmeln wie das von Wasser zwischen Felsen. Warum mehr als das beschreiben? Es stimmte, dass ihr Dinge widerfuhren, die von außen kamen. Sie verlor Illusionen, erkrankte an einer Lungenentzündung. Ihr widerfuhren Dinge. Die aber stärkten oder schwächten gerade einmal das Murmeln in ihrem Mittelpunkt. Warum Tatsachen und Kleinigkeiten erzählen, wenn nichts davon sie letztlich beherrschte? Und wenn sie bloß das Leben war, das ununterbrochen ihren Körper durchströmte?
Ihre Fragen waren nie unruhig auf der Suche nach Antworten, entdeckte Joana weiter. Sie wurden tot geboren, lächelnd, sammelten sich an ohne Wunsch oder Hoffnung. Sie versuchte keine Bewegung außerhalb ihrer selbst.
Viele Jahre ihres Daseins hatte sie am Fenster damit verbracht, Dinge zu betrachten, die vorbeizogen, und andere, die stillstanden. Aber in Wahrheit erblickte sie nicht so viel, horchte vielmehr auf das Leben in sich selbst. Sein Geräusch faszinierte sie – wie das des Atems eines kleinen Kindes, sein sanfter Schimmer – wie das einer neugeborenen Pflanze. Sie war noch nicht müde geworden zu existieren und genügte sich selbst so sehr, dass sie manchmal aus großer Glückseligkeit heraus fühlte, wie Traurigkeit sie wie der Schatten eines Umhangs einhüllte und sie frisch und still werden ließ wie eine Abenddämmerung. Sie erwartete nichts. Sie war in sich, das Ende selbst.
Einmal hatte sie sich gespalten, war beunruhigt, ging aus und suchte sich selbst. Sie war dorthin gegangen, wo sich Männer und Frauen trafen. Alle hatten gesagt: Zum Glück ist sie aufgewacht, das Leben ist kurz, man muss es genießen, früher war sie wie ausgelöscht, jetzt ist sie ein Mensch. Niemand wusste, dass sie so unglücklich war, dass sie sich auf die Suche nach dem Leben begeben musste. Das war, als sie einen Mann wählte, ihn liebte, und die Liebe verdichtete ihr Blut und das Geheimnis. Sie brachte einen Sohn zur Welt, der Mann starb, nachdem er sie befruchtet hatte. Sie setzte ihr Leben fort und entwickelte sich recht gut. Sie suchte alle Teile ihrer selbst zusammen und ging nicht mehr zu den Menschen. Sie fand das Fenster wieder, an dem sie es sich nun in ihrer eigenen Gesellschaft einrichtete. Und jetzt, mehr
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