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Nahe dem wilden Herzen (German Edition)

Nahe dem wilden Herzen (German Edition)

Titel: Nahe dem wilden Herzen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clarice Lispector
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über das eigene Schicksal nachzugrübeln. Sie liebte Otávio seit dem Augenblick, in dem er sie als Kind ins Herz geschlossen hatte, unter dem frohen Blick der Cousine. Und sie würde ihn immer lieben. Sinnlos, andere Wege einzuschlagen, wenn ihre Schritte doch auf einen einzigen gelenkt wurden. Selbst wenn er sie verletzte, flüchtete sie sich in ihn gegen ihn. Sie war so schwach. Doch statt unter der Erkenntnis ihrer Schwäche zu leiden, freute sie sich: Sie ahnte, ohne es sich erklären zu können, dass daher ihr Rückhalt für Otávio kam. Sie fühlte, dass er litt, dass er etwas Lebendiges, Krankes in seiner Seele verbarg und dass sie ihm nur helfen konnte, wenn sie alle Passivität, die in ihrem Wesen schlummerte, einsetzte.
    Manchmal lehnte sie sich entfernt auf: Das Leben ist lang … Sie fürchtete die Tage, die aufeinander folgten, ohne Überraschungen, nur ganz einem Mann ergeben. Einem Mann, der sich alle Kräfte der Frau zunutze machen würde für sein eigenes Feuer, der unbewusst und gelassen alles opfern würde, was nicht zu seiner eigenen Persönlichkeit zählte. Es war eine falsche Auflehnung, ein Versuch der Befreiung, der vor allem mit großer Furcht vor einem Sieg verbunden war. Ein paar Tage lang versuchte sie eine unabhängigere Haltung einzunehmen, was ihr nur morgens mit ein wenig Erfolg gelang, bevor sie noch den Mann gesehen hatte. Seine Anwesenheit, auch nur die vorausgeahnte, reichte, um sie ganz auszulöschen und wieder warten zu lassen. Wenn sie abends allein in ihrem Zimmer war, begehrte sie ihn. Alle ihre Nerven, alle ihre Muskeln krank. Dann ergab sie sich. Die Resignation war süß und frisch. Sie war dafür geboren.
    Otávio betrachtete ihre dunklen Haare, die schlicht hinter den großen hässlichen Ohren zusammengebunden waren. Er betrachtete ihren dicken, festen Körper, der wie ein Baumstamm war, ihre robusten, hübschen Hände. Und von neuem fragte er sich wie in einem trägen Refrain eines Liedes: »Was verbindet mich mit ihr?« Er hatte Mitleid mit Lídia, er wusste, dass er sie, selbst ohne Grund, selbst ohne eine andere Frau kennenzulernen, obwohl sie die einzige war, dass er sie einmal verlassen würde. Vielleicht sogar am nächsten Tag. Warum nicht?
    »Weißt du was?«, sagte er. »Ich habe heute Nacht von dir geträumt.«
    Sie öffnete die Augen, erstrahlte:
    »Wirklich? Was denn?«
    »Ich habe geträumt, dass wir zwei über ein Feld voller Blumen gingen, dass ich Lilien für dich pflückte, dass du ganz in Weiß warst.«
    »Ach, was für ein schöner Traum …«
    »Ja, sehr schön …«
    »Otávio.«
    »Ja?«
    »Bist du mir nicht böse, wenn ich dich etwas frage? Wann heiraten wir? Es steht uns nichts im Wege … Ich muss es wissen, wegen der Aussteuer.«
    »Nur deswegen?«
    Sie errötete, froh, dass sie über etwas sprechen konnte, das sie schmückte. Ungeschickt versuchte sie sich kokett zu geben:
    »Ja, deshalb und … weil ich auch nicht mehr warten will. Es fällt so schwer.«
    »Ich verstehe. Aber ich weiß nicht, wann.«
    »Aber warum denn nicht gleich? Du musst dich doch entscheiden … Wir kennen uns doch nun schon so …«
    Plötzlich stand Otávio auf und sagte:
    »Weißt du, dass das gelogen war? Dass ich gar nicht von dir geträumt habe?«
    Sie blickte ihn entsetzt an, erblasste:
    »Das sagst du im Spaß …«
    »Nein, das meine ich ernst. Ich habe nicht von dir geträumt.«
    »Von wem hast du denn geträumt?«
    »Von niemand. Ich habe durchgeschlafen, ganz traumlos.«
    Sie nahm ihre Näharbeit wieder auf.
    Joana strich mit der Hand über den heißen Bauch der Hündin, streichelte ihn mit ihren schlanken Fingern.
    Aufmerksam geworden hielt sie inne:
    »Sie ist schwanger«, sagte sie.
    Und es lag etwas in ihrem Blick und in den Händen, die die Hündin streichelten, was sie unmittelbar mit der Wirklichkeit verband und entblößte. Als wären sie beide ein einziger nahtloser Block. Da waren die Frau und die Hündin, wach und nackt, ihre Verbundenheit hatte etwas Wildes. Sie drückt sich mit einer entsetzlichen Genauigkeit aus, dachte Otávio voller Unbehagen und kam sich plötzlich nutzlos und weibisch vor. Und es war erst das erste Mal, dass er sie sah.
    Da war etwas Kristallenes, Hartes an ihr, das ihn anzog und zugleich abstieß, wie er bemerkte. Sogar ihr Gang. Ohne Zärtlichkeit und Zuneigung für den eigenen Körper, aber wie eine Herausforderung schleuderte sie ihn kühl den Blicken aller entgegen. Otávio beobachtete ihre Bewegungen und dachte, dass

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