Nahe dem wilden Herzen (German Edition)
so sicher ist. Entweder ich entzünde mich und bin wunderbar, vorübergehend wunderbar, oder aber ich bin finster und hülle mich in Vorhänge ein. Lídia, was immer sie ist, ist unveränderlich, immer mit demselben hellen Fundament. Meine Hände und ihre. Meine – angedeutet, einsam, nach vorn und nach hinten geworfene Züge, Nachlässigkeit und Hast an einem Pinsel, der in traurig-weiße Farbe getaucht ist, ich hebe immer die Hand an die Stirn, immer mit der Gefahr, sie in der Luft zu vergessen, oh, wie nichtig ich bin, erst jetzt begreife ich das. Lídias Hände – markant, hübsch, mit elastischer Haut überzogen, rosa, gelblich, wie eine Blume, die ich einmal irgendwo gesehen habe, Hände, die auf den Dingen ruhen, voller Richtung und Weisheit. Mein ganzes Ich schwimmt, schwebt, durchquert das, was existiert, mit den Nerven, ich bin nichts als ein Wunsch, der Zorn, die Unbestimmtheit, unerfindlich wie die Energie. Energie? aber wo ist meine Kraft? In der Ungenauigkeit, in der Ungenauigkeit, in der Ungenauigkeit … Und ich belebe sie, nicht die Realität, sondern nur den vagen Impuls nach vorn. Ich will Lídia blenden, der Unterhaltung einen etwas merkwürdigen, feinen Charakter geben, entweichen, aber nein, aber ja, nein, aber warum nicht? Plötzlich dachte sie an Otávio, wie er die Tasse in der Hand hielt und pustete, um den Kaffee abzukühlen, sein ernster, wissbegieriger und naiver Ausdruck. Lídia überraschen, ja, sie mitreißen … Wie zu jener Zeit im Internat, wenn sie plötzlich ihre Macht unter Beweis stellen und die Bewunderung der Mitschülerinnen spüren musste, mit denen sie normalerweise wenig sprach. Damals spielte sie kühl etwas vor, erfand etwas, strahlte, als ginge es um einen Racheakt. Aus dem Schweigen, in dem sie sich verbarg, kam sie zum Kampf hervor:
»Seht mal, dieser Mann … Morgens trinkt er Kaffee mit Milch, ganz langsam, er tunkt das Brot in die Tasse, lässt es abtropfen, beißt hinein, dann steht er schwer und traurig auf …«
Die Mitschülerinnen schauten umher, erblickten irgendeinen Mann, und dennoch, obwohl sie überrascht waren und sich zu Beginn absichtlich unbeteiligt gaben, dennoch … war es auf bewundernswerte Weise genau! Sie sahen schließlich, wie der Mann sich vom Tisch erhob … die leere Tasse … einige Fliegen … Joana gewann noch mehr Zeit, stieß noch weiter vor, mit brennenden Augen:
»Und der andere da … Abends zieht er sich mühevoll die Schuhe aus, schleudert sie von sich, seufzt und sagt: Man darf nicht aufgeben, nein, nicht aufgeben …«
Die Schwächeren murmelten schon lächelnd, ganz eingenommen, ja genau … Woher weißt du das eigentlich? Die anderen hielten sich zurück. Aber auch sie blieben in Joanas Nähe und warteten darauf, dass sie ihnen noch etwas zeigte. Ihre Gesten waren da schon leicht, fiebrig, und immer entflammter riss sie sie alle mit:
»Seht mal die Augen von der Frau da … Sie sind rund, durchsichtig, sie zittern und zittern, von einem Moment auf den andern können sie in einem Wassertropfen herunterfallen …«
»Und dieser Gesichtsausdruck?« Manchmal wurde Joana kühner, wenn sie plötzlich Befangenheit in diesen Mädchen aufleuchten sah, die auf den Fluren der Schule gewisse Bücher lasen. »Dieser Gesichtsausdruck? Von einem, der die Lust sucht, wo immer sie auch sein mag …«
Die Mitschülerinnen lachten, dann aber schlich sich etwas Unruhiges, Schmerzhaftes und Drückendes in die Szene. Schließlich lachten sie auffällig viel, nervös und unbefriedigt. Joana wurde lebhafter, wuchs über sich selbst hinaus, sie zog die Mädchen mit ihrem Willen und ihren Worten in ihren Bann, voll geistreichem Witz, der brannte und einschnitt wie leichte Peitschenhiebe. Bis sie schließlich, von ihr überwältigt, ihre glänzende, erstickende Luft einatmeten. Plötzlich befriedigt, hielt Joana dann inne, ihre Augen waren trocken, ihr Körper zitterte über den Sieg. Hilflos, mit dem Gefühl, dass Joana sich schnell von ihnen entfernte, sie verachtete, fielen auch sie schlaff und wie beschämt in sich zusammen. Bevor sie auseinandergingen, einander müde, sagte eine von ihnen:
»Joana ist unausstehlich, wenn sie fröhlich ist …«
Lídia errötete. Das »Ach ja?« Joanas hatte kurz geklungen, unbekümmert und neugierig, so fern von Lídias Erregung.
»Macht nichts, überhaupt nichts«, versuchte Joana sie zu beschwichtigen. »Wie sollten Sie auch wissen, was Bosheit ist. Also, Sie werden ein Kind bekommen …«, fuhr sie
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