Nahe dem wilden Herzen (German Edition)
fort. »Sie wollen Otávio, den Vater. Das ist verständlich. Warum gehen Sie nicht arbeiten, um das Kleine zu unterhalten? Sicher haben Sie große Güte von mir erwartet, trotz allem, was Sie gerade über meine Bosheit gesagt haben. Aber Güte verursacht mir wirklich Brechreiz. Warum arbeiten Sie nicht? Dann brauchen Sie Otávio nicht. Ich bin nicht gewillt, Ihnen eindeutig alles abzutreten. Aber erzählen Sie mir doch erst mal von Ihrer Liebesgeschichte mit Otávio, erzählen Sie mir, wie Sie es geschafft haben, dass er zu Ihnen zurückgekehrt ist. Oder besser: Was er über mich denkt. Sagen Sie es frei heraus. Mache ich ihn sehr unglücklich?«
»Das weiß ich nicht, wir sprechen nicht über Sie.«
Dann war ich also allein? Und diese schmerzende Freude, der Stahl, unter dem meine Haut sich zusammenzieht, diese Kälte, die Eifersucht ist, nein, diese Kälte, die so ist: Oh, du bist den ganzen Weg hierhergekommen? Nun, dann musst du eben wieder umkehren. Aber diesmal werde ich nicht noch einmal anfangen, das schwöre ich, nichts werde ich neu aufbauen, ich werde zurückbleiben wie ein Stein, weit dort hinten, am Anfang des Weges. Irgendetwas dreht sich mit mir, dreht sich, dreht sich und macht mich benommen, benommen und setzt mich geruhsam an derselben Stelle wieder ab.
Sie wandte sich an die Schwangere:
»Das kann nicht sein … Er würde sich nicht so leicht freimachen.«
»Aber er verachtet Sie irgendwie«, rief Lídia aus.
Ach so.
»Geht es Ihnen auch so?«, fragte Joana. »Ja, ja … Es ist nicht nur Hass, trotz allem.« Letzte Nacht, meine Zärtlichkeit, macht nichts, im Grunde wusste ich, dass ich allein war, ich bin wenigstens nicht betrogen worden, denn ich wusste es ja, ich wusste es. »Und wenn es auch Angst wäre?«
»Angst? Ich verstehe nicht«, sagte Lídia überrascht. »Angst wovor?«
»Vielleicht, weil ich unglücklich bin, Angst, sich mir zu nähern. Vielleicht ist es das: Angst, auch leiden zu müssen …«
»Sind Sie unglücklich?«, fragte die andere leise.
»Aber erschrecken Sie nicht«, bemerkte Joana lachend, »Unglücklichsein hat nichts mit Bosheit zu tun.« Was war eigentlich geschehen? Ich bin nicht da, ich bin nicht da, was war geschehen, die Erschöpfung, das Verlangen, weinend wegzulaufen. Ich weiß, ich weiß: Ich würde gern wenigstens einen Tag damit verbringen, Lídia zuzusehen, wie sie von der Küche ins Wohnzimmer geht, dann an ihrer Seite in einem ruhigen Zimmer zu Mittag essen – einige Fliegen, klimperndes Besteck –, wo keine Hitze hinkäme, in einem weiten, alten, geblümten Morgenrock. Dann am Nachmittag, dasitzen und sie nähen sehen, ihr hier und da etwas reichen, die Schere, den Faden, warten, bis Zeit für das Bad und den Kaffee ist, das wäre gut, es wäre weit und erfrischend. Ist es ein wenig das, was mir immer gefehlt hat? Warum bloß ist sie so mächtig? Die Tatsache, dass ich nie einen Nachmittag mit Nähen verbracht habe, stellt mich nicht unter sie, nehme ich an. Oder doch? Ja, nein, ja, nein. Ich weiß, was ich will: eine hässliche und saubere Frau mit großem Busen, die mir sagt: Was soll denn das, solche Geschichten zu erfinden? Jetzt kein Theater, komm sofort her! Und mir ein warmes Bad einlässt, mir ein weißes Leinennachthemd anzieht, mir Zöpfe flicht und mich ins Bett bringt und richtig verärgert sagt: Was soll denn das? Da läuft sie herum, isst nicht zur rechten Zeit, du holst dir noch was, und hör auf, dir solche Tragödien auszudenken, du denkst, Wunder was du bist im Leben, trink diese heiße Suppe. Sie hebt meinen Kopf mit der Hand an, bedeckt mich mit einem großen Laken, streicht einige Haarsträhnen aus meiner Stirn, die schon weiß und frisch ist, und sagt mir, bevor ich wohlig einschlafe: Du wirst schon sehen, wie dieses Gesicht bald rund wird, vergiss all die Dummheiten und sei ein braves Mädchen. Jemand, der mich wie einen genügsamen Hund aufnimmt, mir die Tür öffnet, mich bürstet, mich ernährt, mich streng liebt wie einen Hund, nur das will ich, wie einen Hund, wie ein Kind.
»Wären Sie gern verheiratet – wirklich verheiratet – mit ihm?«, fragte Joana.
Lídia warf ihr rasch einen Blick zu, versuchte herauszufinden, ob Sarkasmus in der Frage lag:
»Ja.«
»Warum?«, fragte Joana überrascht. »Ist Ihnen denn nicht bewusst, dass man damit gar nichts gewinnt? Alles, was es in einer Ehe gibt, haben Sie schon.« Lídia errötete, aber ich bin nicht boshaft, du hässliche und saubere Frau. »Ich wette, Sie haben
Weitere Kostenlose Bücher