Nahe dem wilden Herzen (German Edition)
unangenehm auf –, »ich glaube, das Vorstellungsgespräch ist beendet.«
Lídia war erstaunt. Wie denn? Sie hatten doch noch gar nichts gesagt! Vor allem missfiel ihr die Vorstellung, etwas unbeendet zu lassen:
»Wir haben doch noch gar nichts gesagt … Und wir müssen miteinander sprechen …«
Joana lächelte. Mit diesem Lächeln beginne ich zu handeln, nicht mit Gewalt – die Erschöpfung –, aber so, dass ich sie beeindrucken würde. Was für dummes Zeug denke ich da eigentlich?
»Spüren Sie nicht«, sagte Joana, »dass wir uns von dem Grund für unser Treffen entfernt haben? Wenn wir davon sprächen, wären wir zumindest jetzt unbeteiligt und leidenschaftslos … Verschieben wir es auf ein andermal.«
Einen Moment lang erschien ihnen die Gestalt des Mannes erloschen, unpassend. Aber Lídia wusste, dass, sobald die Frau weg wäre, auch die Trägheit und Starre verschwinden würden, die sie in ihr ausgelöst und ihr damit das Bedürfnis genommen hatte zu handeln. Und von neuem erwacht, würde sie das Kind wollen. Die kleine Familie. Sie bemühte sich, aus diesem Schlaf auszubrechen, die Augen zu öffnen und zu kämpfen.
»Es ist absurd, diese Gelegenheit ungenutzt zu lassen …«
Ja, greifen wir zu, greifen wir zu. Meine Abgestumpftheit rührt daher, dass ich mich zu sehr auf das Fest vorbereitet habe. Joana lachte erneut, aber ohne jede Heiterkeit.
»Ich weiß, dass ich von Ihrer Seite nichts erwarten kann«, fuhr die Schwangere plötzlich mit Nachdruck fort – eine Wolke, die die Sonne aufdeckte, alles leuchtete erneut, war gefüllt mit Leben. Auch Joana wurde heiter, fühlte, wie die Wolke die Sonne freigab, und alles war sprudelnd leicht wie ein kindlicher Ringelreihen.
»Ich kenne Sie gut«, fuhr Lídia fort. Ihre Worte fielen mit gelassener Stumpfsinnigkeit in den See und sanken wirkungslos auf den Grund.
Plötzlich aber gab die junge Frau sich und ihrer Schwangerschaft einen Ruck in einer letzten Anstrengung, sich wachzurütteln:
»Ich kenne Sie, ich weiß, wie unerschütterlich Ihre Bosheit ist.«
Das Wohnzimmer lebte jetzt auf.
»Ach ja?«
Ja, es lebte auf, weckte Joana. Was sage ich da? Wie konnte ich es wagen herzukommen? Ich bin weit, weit weg. Man braucht nur diese Frau anzusehen, um zu wissen, dass man mich nicht mögen kann. Der Stahl rührte plötzlich an ihr Herz. Ach, die Eifersucht, das war Eifersucht, die kalte Hand drückte sie langsam zusammen, presste sie, verkleinerte ihre Seele. Es geschieht Folgendes mit mir oder droht zu geschehen: Von einem Augenblick zum anderen kann ich mich, mit einer bestimmten Bewegung, in eine Linie verwandeln. Das ist es!, in eine leuchtende Linie, so dass derjenige neben mir allein zurückbleibt und mich und meine Fehler nicht greifen kann. Lídia hat unterdessen andere Pläne. Bei jeder Gebärde offenbart sich ein anderer Aspekt ihrer Dimension. An ihrer Seite gleitet niemand aus oder verirrt sich, weil er sich auf ihre Brüste stützen kann – ernsthafte, friedfertige, bleiche Brüste, meine sind dagegen unerheblich – oder auf ihren Bauch, in dem sogar ein Kind Platz hat. Nur nicht ihre Bedeutung überschätzen, im Bauch aller Frauen kann ein Kind entstehen. Wie schön und fraulich sie ist, ganz klar Rohstoff, trotz all der anderen Frauen. Was liegt in der Luft? Ich bin allein. Lídias große Lippen mit den gemächlichen Linien, die so schön hell geschminkt sind, während ich mit diesem dunklen Lippenstift, immer Scharlach-, Scharlach,- Scharlachrot, und das Gesicht weiß und mager. Und sie mit ihren braunen, riesigen und ruhigen Augen, vielleicht haben sie nichts zu geben, aber sie empfangen so viel, dass niemand ihnen widerstehen könnte, am allerwenigsten Otávio. Ich bin ein Federvieh, Lídia aus Pelz, Otávio verliert sich zwischen uns, wehrlos. Wie sollte er auch ausbrechen, aus meinem Glanz und meiner Verheißung zu fliehen, und wie ausbrechen aus der Sicherheit dieser Frau? Wir beide würden eine Einheit bilden und der Menschheit dienen, wir würden morgens früh von Tür zu Tür gehen und läuten: Welches möchten Sie lieber, meines oder ihres?, und würden ein kleines Kind abliefern. Ich verstehe, warum Otávio sich nicht von Lídia losgemacht hat: Er ist immer bereit, sich denen zu Füßen zu werfen, die vorwärtsgehen. Er sieht nie einen Berg, ohne mehr als seine Festigkeit zu bemerken, nie sieht er eine Frau mit einer großen Brust ohne den Gedanken, seinen Kopf daraufzulegen. Wie arm ich doch bin im Vergleich zu ihr, die
Weitere Kostenlose Bücher