Nahe dem wilden Herzen (German Edition)
vereint hatte, war die Verzauberung von ihrem eigenen entblößten Körper aus zu ihr gelangt. Die Erneuerung hatte ihr gehört, sie war nicht übergeströmt bis hin zu dem Mann, war abgetrennt geblieben. Jetzt verstand sie plötzlich, dass Liebe einen dazu bringen konnte, den nächsten Augenblick herbeizusehnen, in einem Drang, der das Leben war … Sie fühlte die Welt sanft in ihrer Brust schlagen, ihr Körper schmerzte, als trüge sie darin die Weiblichkeit aller Frauen dieser Welt.
Erneut wurde sie still, blickte in sich hinein. Sie erinnerte sich: Ich bin die sanfte Welle, die nur das Meer als Raum hat, ich ringe, gleite, fliege, lachend, gebend, schlafend, aber wehe mir, immer in mir, immer in mir. Von wann stammte das? Als Kind einmal gelesen? Gedacht? Da fiel es ihr plötzlich ein: Gerade eben hatte sie es gedacht, vielleicht, bevor sie ihren Arm auf Otávios gelegt hatte, vielleicht gerade, als sie hatte schreien wollen … Immer mehr wurde alles zur Vergangenheit … Und die Vergangenheit war so geheimnisvoll wie die Zukunft …
Ja … und sie hatte auch, so schnell wie ein leise davonschießendes Auto, jenen Mann gesehen, den sie manchmal auf der Straße traf … jenen Mann, der sie stumm, dünn und scharf wie ein Messer anblickte. Sie hatte ihn schon in jener Nacht leise gespürt, wie er sich an ihrem Bewusstsein anlehnte wie ein Stecknadelkopf … wie eine Vorahnung … aber in welchem Moment? Im Traum? Im Wachen? Ein neuer Strom von Schmerz und Leben wuchs, überflutete sie mit der Angst vor dem Gefangensein.
»Ich …«, begann sie wieder schüchtern in Richtung Otávio.
Es war jetzt dunkler, sie sah ihn nur noch als einen Schatten. Er erlosch immer mehr, entglitt ihr durch die Hände, tot in der Tiefe des Schlafs. Und sie, allein wie das Ticken einer Uhr in einem leeren Haus. Sie saß im Bett und wartete mit weit geöffneten Augen, die Kälte des nahenden Tages drang durch ihr dünnes Nachthemd. Sie war allein auf der Welt, erdrückt unter so viel Leben, fühlte sie die Musik in Tönen vibrieren, die zu hoch waren für einen Körper.
Aber die Befreiung kam, und Joana zitterte unter ihrem Anstoß … Denn sanft und süß wie das Morgengrauen in einem Wald dämmerte die Inspiration … Da erdachte sie, was sie sagen sollte. Mit geschlossenen Augen, hingegeben, sprach sie leise die Wörter, die in diesem selben Moment geboren wurden, noch nie zuvor von jemand vernommen, noch zart von der Erschaffung – junge, zerbrechliche Keime. Es waren weniger Wörter, vielmehr einzelne Silben ohne Sinn, lau, die dahinglitten und sich überkreuzten, sich befruchteten, wiedererstanden in einem einzigen Wesen, nur um sich gleich darauf wieder zu trennen, atmend, atmend …
Ihre Augen wurden feucht vor leiser Freude und Dankbarkeit. Sie hatte gesprochen … Die Wörter waren gekommen von jenseits der Sprache, aus der Quelle, der Quelle selbst. Sie näherte sich ihm, gab ihm ihre Seele hin und fühlte sich dennoch so erfüllt, als hätte sie eine Welt eingesogen. Sie war wie eine Frau.
Die dunklen Bäume im Garten bewachten heimlich das Schweigen, sie wusste es genau, ganz genau … Sie schlief ein.
LÍDIA
Der folgende Morgen war wieder wie ein erster Tag, fühlte Joana.
Otávio war früh weggegangen, und sie war ihm dafür dankbar, als hätte er ihr absichtlich Zeit gegeben, um nachzudenken, sich zu beobachten. Sie wollte nichts überstürzen, sie spürte, dass jede ihrer Bewegungen kostbar und gefährlich werden könnte.
Es waren Augenblicke, schnelle Stunden bloß. Denn sie hatte Lídias Nachricht erhalten mit einer Einladung, sie zu besuchen.
Sie hatte gelächelt, während sie sie las, noch bevor das Herz heftig und schwer zu klopfen begann. Und da war auch diese kalte stählerne Klinge, die an das warme Innere des Körpers rührte. Als wäre ihre verstorbene Tante auferstanden und spräche zu ihr, stellte sich Joana ihre Erschütterung vor, fühlte ihre offenen Augen, oder waren es ihre eigenen Augen, denen sie keine Überraschung gestattete?: »Ist Otávio zu Lídia zurückgekehrt, trotz Joana?«, würde die Tante fragen.
Joana strich sich sacht über das Haar, die kalte Klinge am heißen Herzen, sie lächelte erneut, ach, nur um Zeit zu gewinnen. »Aber ja, warum sollte er nicht weiterhin mit Lídia zusammen sein?«, antwortete sie der verstorbenen Tante. Jetzt, als ihr dieser Gedanke deutlich wurde, presste die Klinge ihr lachend die Lunge zusammen, eisig. Warum Ereignisse ablehnen? Vieles auf
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