Nahe dem wilden Herzen (German Edition)
mögen ihn nicht …«
»Doch, aber ich weiß nie, was ich mit Menschen oder Dingen anfangen soll, die ich mag. Sie lasten auf mir, das war schon von klein auf so. Wenn ich wirklich mit dem Körper lieben würde, vielleicht … Vielleicht würde mich das mehr binden …« Mein Gott, was sind das für Vertraulichkeiten. Jetzt werde ich es so ausdrücken: »Otávio flieht vor mir, weil ich niemandem Frieden bringe, ich bringe den anderen immer den gleichen Kelch, so dass sie sagen: Ich war blind, ich hatte keinen Frieden, jetzt aber wünsche ich ihn mir.«
»Aber dennoch … ich finde … niemand kann sich beklagen … Auch Otávio nicht … wohl auch ich nicht …« Lídia konnte es nicht erklären, blieb unbestimmt, ihre Hände ruhten nicht auf den Dingen.
»Was denn?«
»Ich weiß nicht.« Sie sah zu Joana hinüber und suchte beunruhigt etwas in ihrem Gesicht, während sie den Kopf bewegte.
»Was denn?«, wiederholte Joana.
»Ich kann es nicht begreifen.«
Joana errötete leicht:
»Ich auch nicht. Ich bin nie in mein Herz vorgedrungen.«
Etwas war ausgesprochen worden.
Joana ging zum Fenster, sah hinaus in den Garten, wo Lídias Kind spielen würde, das jetzt in Lídias Bauch war, das an Lídias Brust gestillt werden würde, das Lídia sein würde. Oder Otávio, unreife Frucht? Nein, Lídia, die sich weitergibt. Wenn man sie in der Mitte öffnen würde – unter dem Geräusch frischer Blätter, die sich teilen –, würde man in ihr einen offenen, frischen, rosafarbenen Granatapfel sehen, durchsichtig wie helle Augen. Der Grundstock ihres Lebens war sanft wie ein Bach, der durch ein Feld plätschert. Und auf diesem Feld bewegte sie selbst sich sicher und gelassen wie ein weidendes Tier. Sie verglich sie mit Otávio, für den das Leben nie mehr als ein schmales, eigentümliches Abenteuer sein würde. Und mit sich selbst, wie sie die anderen als schattigen Hintergrund benutzte, von dem sich ihre strahlende, hohe Gestalt abhob. Lídias Poesie: Diese Stille nur, Herr, ist mein Gebet, und ich kann mehr nicht sagen, es macht mich so glücklich, zu fühlen, dass ich schweige, um noch mehr zu fühlen, in der Stille wurde in mir ein zartes und leichtes Spinnennetz geboren, dieses sachte Nichtverstehen des Lebens, das es mir ermöglicht zu leben. Oder stimmte das alles nicht? O Gott, nun, da sie vor allem anderen handeln musste, verlor sie sich in sinnlosen Gedanken. Sicher stimmte das alles nicht, es war sogar denkbar, dass Lídia viel weniger rein war, als sie es sich vorstellte. Aber dennoch scheute sie sich, an ihrer Seite zu bleiben, sie unwillkürlich eindringlich anzusehen, sie zu veranlassen, sich ihrer selbst bewusst zu werden. Sie erhalten und nicht ihre Farbe und kostbare Stimme verändern.
»Er hat mir das mit dem Alten erzählt … Sie haben mit einem Buch nach ihm geworfen, dabei war er so alt … Erst habe ich es verstanden, aber jetzt weiß ich nicht, wie Sie so etwas …«, fragte Lídia.
»Aber so war es.«
Lídia sah sie mit halb geöffneten Lippen an und wartete. Und plötzlich fühlte sie ganz deutlich, dass sie nicht gegen diese Frau kämpfen wollte. Sie nickte verstört. Ihr Gesicht löste sich auf, zitterte, seine Züge suchten nach einem Ausdruck:
»Ich habe das nicht mit Absicht getan, verstehen Sie? Nein, ich habe es nicht …« Lídia war immer noch unruhig, ihr Gesicht zuckte. »Warum sollte ich Sie zum Narren halten? Nein, das wollte ich nicht sagen, nein, das meine ich nicht …«
Plötzlich, ohne dass Joana es hätte voraussehen können, brach sie in ungehemmtes Weinen aus. Sie erwartet ein Kind, sie ist nervös, dachte Joana. Mühsam, schleppend sagte Lídia:
»Ich hätte keine Bedenken gehabt, Otávio einer anderen Frau wegzunehmen. Aber ich wusste nicht, dass es Sie gab … Nicht irgendwer wie ich, sondern jemand so … gut … so edel …«
Joana schreckte auf. Aha, darauf habe ich hingearbeitet, es ist mir gelungen, edel zu sein … wie früher … Nein, nein, es ist nicht ganz so, ich habe es nicht absichtlich so weit getrieben, wie könnte ich auch, mit dem Stahl, der meinen Körper runzlig macht und abkühlt? Mich nicht in dieses Licht stellen, die Furche auf der Stirn ist so sichtbar. Jenen Grad von Licht und Schatten suchen, in dem ich plötzlich fleischig aussehe, der Lippenstift dunkler erscheint wie ein alter Blutfleck, das Gesicht unter den Haaren weißer … Wieder berühren sie mit dem kalten Stahl mein Herz. Erst wenn ich gehe, wird sie mich verachten, jetzt
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