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Nahe Null: [gangsta Fiction]

Nahe Null: [gangsta Fiction]

Titel: Nahe Null: [gangsta Fiction] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nathan Dubowitzki
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kann mich zwingen, das lockende Umland zu besuchen, dessen Geheimnisse und nicht ganz ungefährliches Kolorit in gewissen Jahren unserem Kino kurzzeitige internationale Erfolge beschert haben.
    Darum war ich nach meiner Heirat glücklich, das Angebot von Pawel Petrowitsch annehmen zu können. Er ist, glaube ich, Russe und unterrichtet Pathobotanik an einer der Experimentalschulen, wo unglückliche Jugendliche mit Wissen über allen erdenklichen Unsinn ausgestattet werden, in der (zugegeben, gerechtfertigten) Hoffnung, dass die Stadt jeden mit einem Beruf, und sei er noch so sinnlos, ernährt.
    Pawel Petrowitsch vermietete mir und meiner Frau ein Zimmer in seiner kleinen Mansarde. Das zweite Zimmer bewohnte ein, wie er sagte, hochkultivierter und sehr ruhiger Mieter, mit dem unter einem Dach zu leben eine reine Freude sei. Pawel Petrowitsch selbst hauste in der Schulorangerie, zwischen von exotischen Krankheiten befallenen Pflanzen. Er verlangte eine äußerst geringe Miete, verpflichtete uns allerdings im Gegenzug, uns um allerlei zu kümmern, >das in der Orangerie keinen Platz mehr gefunden< habe.
    Fast geschenkter Wohnraum, ein paar Schritte vom Arbeitsplatz entfernt (ich arbeite in einem statistischen Büro, das seit fünfzig Jahren erfolglos versucht, eine Volkszählung in der Stadt zu organisieren), in einem guten Viertel, mit schöner Aussicht und einem ruhigen Nachbarn - das war äußerst verlockend, also zogen wir ein. Ruhe ist, nebenbei bemerkt, für meine Frau aus einem teils etwas heiklen Grund besonders wertvoll. Die Sache ist die, dass sie bereits ein halbes Jahr vor unserer Hochzeit verrückt geworden ist. Sie hielt sich für die Frau von Chopin - hierzulande eine durchaus normale Verrücktheit, die man weitgehend ignorieren könnte, aber sie brauchte einen Komponisten. Sie sah mich zum ersten Mal in einem Café und hielt mich für Chopin. Ich hatte sie gar nicht bemerkt, aber es war zu spät. Nach einem Monat rief mich ihr Arzt an und erzählte mir diesen ganzen Irrsinn. Die Eltern der Unglücklichen lagen vor mir auf den Knien und lasen mir schluchzend ihr Krankenblatt vor. Sie flehten mich an, sie zu heiraten, sonst würde sich ihr Wahn bis zum Äußersten verschlimmern, womöglich bis zum letalen Ausgang. Natürlich weigerte ich mich, doch sie kamen erneut angekrochen, mitsamt dem Arzt und der Tochter. Der Arzt murmelte etwas von Humanität und Selbstaufopferung, und Chopins Frau sah mich an, wie mich noch keine Frau jemals angesehen hatte. Chopin hatte Glück (ich weiß nicht, ob er verheiratet war) - sie war eine echte Schönheit. Ich verliebte mich sofort, schwindelte ihr auf Anraten des Arztes etwas von einer unvollendeten Sinfonie vor und ging mit Freuden die Ehe ein.
    Ich kann nicht sagen, dass >allerlei, das in der Orangerie keinen Platz mehr gefunden< hatte, vollkommen pflegeleicht gewesen wäre. Meine Frau und ich hatten damit mehr Arbeit und Scherereien, als ich erwartet hatte. Zudem sind Krankheiten von Pflanzen, von nahem betrachtet, nicht weniger ekelhaft als die von Menschen. Neben vielen nichts weiter als komischen Dingen, wie beispielsweise einem Zitronenbaum, der nach unten wuchs und, sämtlichen Stützen ausweichend, seine Zweige, Blätter und unreifen Zitronen in die Erde zu bohren strebte, gab es in Pawel Petrowitschs Wohnung auch einige, die einem Angst einjagen konnten. Neben unserem Bett lagerte ein zyklopischer, mit hässlichem Ausschlag bedeckter und von widerlichen Geschwüren zerrissener Kaktus. >Bitte alle dreißig Jahre gießen<, instruierte mich der Pathobotaniker und reichte mir eine Flasche mit einer speziellen Flüssigkeit und einem Etikett, auf dem das in recht ferner Zukunft liegende Gießdatum vermerkt war - und ich stellte mir diesen Tag vor: Der Kaktus und ich, hässliche kranke Greise, begießen einander abwechselnd aus der kostbaren Phiole.
    Dann das hyperaktive Moos. Es wucherte in der Küche und verbreitete sich in anormal rasantem Tempo. Binnen einer Nacht bedeckte es Wände, Decke, Fußboden, Möbel und Geschirr, kroch bis in den Flur, so dass meine Frau jeden Morgen alles von ihm Überwucherte freikratzte und abwusch und das Moos in seine Kiste zurückdrängte. >Wenn man das nicht tut<, erklärte Pawel Petrowitsch mit sonderbarem Stolz, >dann wächst innerhalb einer Woche das ganze Universum mit Moos zu.<
    Das Merkwürdigste in unserer Wohnung aber war unser mucksmäuschenstiller Nachbar. Erst nach über einem Monat in dieser Wohnung fiel mir auf, dass

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