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Nahe Null: [gangsta Fiction]

Nahe Null: [gangsta Fiction]

Titel: Nahe Null: [gangsta Fiction] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nathan Dubowitzki
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und Uhren kauften; er erstand eine Krawatte, einen Kronleuchter, ein Hemd, eine Uhr und wollte schon nach einer Suppenterrine greifen, als er sich fragte, warum und mit wem er hergekommen war, und als es ihm eingefallen war, rannte er panisch zurück zum Auto. Nastja schlief, von Kopf bis Fuß mit Hämatogen und Zahnpasta in sieben grellen Farben beschmiert. Sitze, Türen und Seitenfenster waren in denselben Farben verziert. Nastja schlief ganz unkindlich unansehnlich, stinkend, grob und geräuschvoll, wie alle betrunkenen und debilen Brüder Grymm zusammen. Jegor nahm Feuchttücher aus dem Erste-Hilfe-Kasten und wollte seine Tochter und das Auto reinigen; doch plötzlich erschlaffte er, knüllte die Tücher zusammen, wischte sich damit die Augen, kroch auf seinen Sitz und ließ den Kopf auf das Lenkrad sinken.
     

23
    Er weinte. Er weinte vor Scham, weil er Nastenka nicht liebte, weil er sich wünschte, sie zu lieben, und weil dieser Wunsch unerfüllbar war. Und aus Mitleid mit sich selbst, mit Sweta, mit ihrer entschwundenen Jugend, mit ihrem hässlichen Kind, aus Mitleid mit ihrem vergeudeten, verlorenen Leben; weil er wusste, dass jeder, der wollte, seine Tochter kränken würde und dass sie von diesen Kränkungen noch mehr abstumpfen, sich noch tiefer unter ihren warmen, weichen Speckschichten vergraben würde, dorthin, wo nichts wehtat, wo sie die höhnischen Menschen nicht hörte.
    Er weinte zum ersten Mal seit vierzig Jahren, weinte lange und heftig, als wolle er sich für vierzig Jahre im Voraus ausweinen - wann würde er schon noch einmal so ...
    Er weinte ohne Tränen, Tränen hatte er nicht, dafür flössen Rotz und Speichel in Strömen, wie Blut aus einem durchlöcherten Kopf.
    »Was soll ich tun?«, jammerte er. »Was bin ich für ein Schwein! Nastenka, verzeih, verzeih mir. Mein Gott, warum liebe ich niemanden? Wofür, Herr? Wofür strafst du mich so? Bist du bescheuert, Herr? Bin etwa ich allein an allem schuld? Schön, ich bin schuld, vielleicht muss ich ja wirklich für alle die Zeche zahlen. Nun ja, ich habe getötet. Den Alten damals und Talschtschik und Bonbon und Desjatizki samt seiner Mutter. Und Gerberstein Benzion Kondratowitsch und Sidoruk Alexej Jaroslawowitsch und den Gorilla ohne Namen, der mich kaltmachen wollte, und Tschatschawa junior und Tschatschawa senior und einfach nur Tschatschawa und dann noch diesen, wie hieß er gleich, auch; scheiß drauf, auf sie alle ... Aber Nastenka, Gott, wofür sie? Was hat sie damit zu tun? Warum hast du sie so dick gemacht, so schlampig, so dumm? Warum hast du ihr solche Bastarde von Eltern gegeben, die sie nicht lieben? Sie lieben sie nicht, mein Gott, sie lieben sie nicht, aber das sollten sie! Wer wird sie denn sonst lieben, wer wird Mitleid haben mit meiner armen Nastenka? O verfickte Scheißwelt! O Hurendreck! O fuck!«
    »Hör auf zu heulen. Mit Tränen erreichst du bei mir gar nichts«, reagierte die aufgewachte Tochter streng auf die Sentimentalität ihres Vaters. Und schluchzte selbst kurz auf. »Papa, ich will zu Mama. Und zu McDonald's. Nicht weinen. Willst du Zahnpasta? Ein bisschen mit Pfefferminze ist noch da. Na gut. Dann ess ich sie selber auf.«
    »Wir fahren, Nastenka, gleich, sofort, zu Mama und zu McDonald's«, versprach Jegor verlegen, wischte sich hastig den salzigen Schleim vom Gesicht, startete den Wagen und raste los, zur Mutter.
    Die Mutter knurrte bei Nastjas Anblick ihren Exmann an:
    »Was hast du mit ihr gemacht? Sie ist ja über und über beschmiert! Was ist denn das? Warst du mit ihr bei Belenki?«
    »Bei Belenki?« Jegor machte große Augen.
    »Du warst nicht bei Belenki? Ich hatte dich doch gebeten ... Nein, du bist einfach ... Ich hab dir doch gesagt, Nastja hat Angina, sie muss zum Arzt, zu ebendiesem Belenki. Du kennst ihn doch! Ich habe mit ihm extra einen Termin am Samstag vereinbart. Dabei ist er Jude. Für uns hat er eine Ausnahme gemacht. Und jetzt ... Du warst gar nicht bei ihm. Jetzt wird er sich weigern, Nastja überhaupt zu behandeln«, redete sich Sweta mit jedem Wort mehr in Rage. »Und du hast dich mit dem kranken Kind wer weiß wo rumgetrieben ...«
    »Nastja, du bist krank?«, wandte sich Jegor feige an seine Tochter.
    Die Tochter hickste.
    »Sie ist krank!!!«, antwortete an ihrer Stelle die Exfrau kreischend. »Sie hätte zum Arzt gemusst, zum Arzt!«
    »Nein, also ... Na ... Aber ... Ahh ... Uns, wir ... Wir waren ... In der Apotheke! Dafür ... In der Apotheke waren wir! Sag's ihr, Nastja«,

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