Nahkampf der Giganten
Schauer.
»Rannte los und sprang über Bord, ehe wir ihn erwischten.«
Bolitho sah das Boot auf dem ebenholzschwarzen Wasser tanzen, die Riemen zogen phosphoreszierendes Meeresleuchten nach.
»Kann nichts sehn, Sir«, schrie der Bootsmaat herauf, der aufrecht im Kutter stand.
»Rufen Sie das Boot zurück, Mr. Herrick«, befahl Bolitho knapp.
»Und nehmen Sie wieder Fahrt auf!«
Er ging an den stummen Gestalten vorbei, die ihn anstarrten, und sah noch, wie Inch den Midshipman Lory tröstete, der mit Fowler eng befreundet gewesen war. »Mr. Inch«, sagte er, »Sie sind jetzt Dritter Offizier. Hoffentlich ist das für einige Zeit die letzte Beförderung aus diesen Anlässen.«
Steifbeinig ging er in seine Kajüte und starrte auf die herumstehenden Weingläser. Er versuchte, den Stöpsel aus einer Karaffe zu ziehen, aber er stak zu fest; und da er sie mit seinem verwundeten Arm nicht entkorken konnte, knallte er die Karaffe wütend auf den Tisch. »Gimlett!« brüllte er. Angstvoll stürzte der Steward in die Kajüte. »Ein Glas Wein, aber schnell!« Als er es an die Lippen setzte, zitterte seine Hand heftig, aber er konnte sie nicht beherrschen. Diesmal war es nicht das Fieber – Wut und Verzweiflung stiegen wie eine Flutwelle so hoch in ihm, daß er das leere Glas fast an die Wand geworfen hätte. Hätte er Fowler auf der brennenden Fairfax gelassen, würde er jetzt als tapferer Seemann im Gedächtnis der Besatzung fortleben und nicht als armseliger, irrer Selbstmö rder. Warum hatte er so ohne Würde sterben müssen? Wie konnte es sein, daß ein Mann, den er kannte, dessen Gewohnheiten ihm so geläufig waren wie seine eigenen, in Sekunden zu einer leeren Menschenhülle geworden war?
Er knallte das Glas auf den Tisch. »Nachfüllen!«
Und eben hatte er noch den Offizieren Vorträge darüber gehalten, wie gewisse Vorkommnisse der Moral schaden konnten! War Fowler schon kein Mensch mehr, sondern ein Vorkommnis?
Er dachte an Pomfret und daran, was dieser ihm antat, ihm und dem ganzen Schiff. »Hol dich der Teufel! Zur Hölle mit dir, du Elender!« Seine Stimme bebte so vor Wut, daß Gimlett sich wie ein geprügelter Hund in die Ecke drückte.
Schließlich riß sich Bolitho mit einem Ruck zusammen. »Ist schon gut, Gimlett. Keine Angst. « Er hob den Becher ans Licht der Lampe und wartete, bis der Wein still und blutrot im Glas stand.
»Sie habe ich nicht gemeint, Gimlett. Sie können jetzt gehen.«
Als Bolitho wieder allein war, zog er Cheneys Brief aus der Brusttasche und begann zu lesen.
Zuerst die Menschen!
Gewiß war Bolitho darauf vorbereitet und gewillt, die Stimmung im Schiff trotz Pomfrets Winkelzügen nicht absinken zu lassen, doch die Wirklichkeit wurde viel schlimmer, als selbst er vorausgesehen hatte. Woche um Woche fuhr die
Hyperion
ihre anscheinend endlose Patrouille, ein riesiges, eintöniges Rechteck auf dem offenen Meer. Nur gelegentlich unterbrach die ferne Küste Frankreichs oder der lauernde Schatten der Insel Cozar die Leere.
Zweimal begegneten sie der Schaluppe
Chanticleer;
sie hatte wenig zu melden, was Bolithos wachsende Nervosität hätte beschwichtigen können. Die Situation der Schaluppe war genauso scheußlich wie seine eigene, denn die unberechenbaren Wetterverhältnisse des Mittelmeeres spielten einem so kleinen Fahrzeug besonders mit. Bellamy, der Kommandant, konnte sich das Ausbleiben jeglicher Nachrichten aus Pomfrets Hauptquartier ebensowenig erklären wie Bolitho selbst. Es gab nur Gerüchte. Angeblich bombardierten die Franzosen St. Clar mit Belagerungsgeschützen; im Weichbild der Stadt würde bereits gekämpft, so daß man kaum noch ohne Gefahr auf die Straßen könne.
Aber an Bord der
Hyperion
waren solche Spekulationen ebenso unnütz wie fernliegend, denn in ihren menschenwimmelnden Decks bedeutete Wirklichkeit: heute – und allenfalls morgen. Bolitho wußte, daß seine Leute sich alle Mühe gaben, ihre Enttäuschung, ihren Mißmut nicht zu zeigen. Sie verhielten sich wunschgemäß, einen ganzen Monat lang gab es ständig Wettkämpfe und freundschaftliche Konkurrenzen aller Art. Verschiedene Preise wurden ausgesetzt; für die beste Spleißarbeit, das schönste Schiffsmodell, für Hornpipe- und Jigtänzer, sogar für die zahllosen kleinen Gegenstände, welche die älteren Matrosen mit großer Liebe und Sorgfalt herstellten: winzige, zierliche Schnupftabaksdosen, aus steinhart getrocknetem Salzfleisch geschnitzt und dann poliert, oder Kämme und Broschen aus Knochen
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