NAM-Tech: Maschinenbrut (German Edition)
Streik.
»Die Firma will den Krieg.«
... will sie es?
»NAM-Tech wird Waffen liefern.«
Die grausamen Waffen der Zukunft.
»Das können wir nicht verantworten.«
»Das ist Unsinn!«, rief Sara dem Wald entgegen. »Es wird keinen Krieg geben! Die Ressourcen sind aufgeteilt und die Nationen werden sich daran halten. Das Divisions-Abkommen der Länder gilt seit zehn Jahren!«
Auf einmal war das Flackern weg. Das Bild des Raumes vor ihren Augen war klar und ungetrübt. Keiner der Wissenschaftler sagte ein Wort.
Dann ging einer von ihnen langsam zu der grauen Wand, in die ein großflächiger BNF-Screen mit 90 Zoll Diagonale eingebaut war. Er bewegte seine Handfläche kreisförmig vor dem schlummernden Sensor umher und flüsterte kaum hörbar:
»Newsfeed. Valid-Video eins bis vier. Secure-Text von minus Null- Dreihundert bis Default-Zeit. Standard Audio auf eins.«
Sol schaute Sara an, nur um sie fassungslos auf den Screen starren zu sehen. Er gab sich gar nicht erst die Mühe, die geschriebenen Nachrichten, die zwischen den vier geöffneten Fenstern auf der BNF herunter scrollten, zu lesen. Die Live-Berichterstattung – ein französischer Kanal (mit Ton), ein amerikanischer, ein arabischer und ein spanischer – ließ keinen Zweifel mehr daran, was in der Welt des 21. Jahrhunderts soeben begonnen hatte: Rohstoff-Krieg. Baku am Kaspischen Meer, offenbar gehalten von arabischen Invasoren, befand sich in der Zange von hochgerüsteten amerikanischen und übermächtigen russischen Divisionen. Prudhoe Bay stand kurz davor, chemisch auszubrennen, ohne dass die aleutischen Zwangsrekruten die sabotierenden asiatischen Einheiten ausmachen konnten. Ein weitaus größeres Drama hatte sich vor wenigen Minuten an den Ufern des Orinoco vollzogen, an denen die mobilen Panzertürme der amerikanischen Streitkräfte in ihrem Anmarsch auf das Gran Gasoducto del Sur die Behausungen von Zivilisten auf den Verdacht von versteckten Abwehrbatterien hin dem Erdboden gleich gemacht hatten. Und in vielen anderen Teilen der Welt sah es nicht besser aus. Neben hektischen Berichten von Kampfhandlungen sprangen chaotische Bilder von erzürnten Diplomaten und aufbrausenden Staatschefs, die mit rollenden Augen über antike, brillenähnliche Visorfolien hinweg starrten und energisch den Zeigefinger in die Höhe streckten, durch die Aufnahmen der Sendeanstalten. Eine Welt im Chaos.
Sol wollte Sara sanft die Hände auf die Schultern legen, doch sie schüttelte ihn ab, ohne richtig hinzuschauen, schien sich von dem Newsfeed gar nicht losreißen zu können und begann dann, gegen die Aufzeichnungen zu protestieren. Es sei alles eingespielt und gefälscht. Selbst wenn es in Ansätzen wahr sein sollte, wäre das noch lange keine Berechtigung, in den Streik zu gehen und erst recht nicht, die Technik der Firma für Integrationen zu nutzen, die aus Menschen Monster machten. Sol bemerkte, wie sie bei diesem Punkt beinahe aus der Fassung geriet, und er verstand, wie sehr das Entsetzen sie gepackt haben musste, als das Maschinenmonster sie gnadenlos angegriffen hatte.
In einem kurzen Moment, in dem er sich unbewusst wie ein Außenstehender wähnte, begann er zu begreifen, dass Sara dabei war, ihre zuvor so uneingeschränkte Hingabe für die Errungenschaften der Firma und der Technik an sich, verzweifelt abzustreifen. Die Erfahrungen der letzten Stunden hatten sich nachhaltig in ihr Gedächtnis und ihr Empfinden eingefräst, und hatten sie nun dazu gebracht, auf
seine
Seite zu wechseln. Die Seite, auf der funkelnde Mechanik nur eine neue Illusion bedeutete. Die Seite, auf der technologischer Fortschritt mit humanistischem Rückschritt gleichzusetzen war. Die Seite, auf der die ungeahnten Möglichkeiten der mechatronischen Welt sich einzig und allein in neuen, grausamen Tötungstechniken manifestierten.
Seltsamerweise begann er sich zu fragen, ob sie nun Gefahr lief, genau das zu werden, als das er sich selbst in den letzten Jahren begriffen hatte: eine leere Hülle, ein hohler Körper, selbstmitleidig und desillusioniert, die ganze Zeit dieses Zustands bewusst, aber außerstande eine neue Motivation aufzubringen, um sich aus dem schalltoten Tal des Jammers zu befreien.
Doch jetzt im Moment zeigte Sara keine Anzeichen dieser Art. Schließlich war sie derart laut und aufgebracht, dass sie auf die Tische schlug und dabei nur kurz den Weißen ansah, der in seinen Kittel griff und einen hautengen, mit Folienplatinen besetzten Handschuh hervorholte. Ihr Blick
Weitere Kostenlose Bücher