Namibia
gäbe, wird heute allerdings eher als augenzwinkernde Vergangenheitsbeschreibung gebraucht, ähnlich wie „Ossi“ und „Wessi“ in der Bundesrepublik. Es spricht für die junge Republik Namibia, dass sie die sprachlich-kulturelle Identität der Deutschen respektiert, allenfalls Straßennamen ändert und die deutschen Kolonialdenkmäler höchstens mal verschiebt, aber im Allgemeinen nicht anrührt.
Die „DDR-Kinder“
Selbst im vom Deutschen nicht eben unberührt gebliebenen Namibia werden Reisende mehr als erstaunt sein, wenn sie im Buchladen in Windhoek, im Restaurant oder auf einer der Lodges von einem jungen schwarzen Mann oder einer jungen schwarzen Frau in perfektem Deutsch angesprochen werden – und zwar so, wie es von Muttersprachlern gesprochen wird.
Höchstwahrscheinlich handelt es sich dann um eines der „DDR-Kinder“, eine Bezeichnung, die aufgrund der spezifischen Vergangenheit dieser Namibier geläufig, aber natürlich inzwischen veraltet ist, da erstens die DDR schon lange nicht mehr existiert und zweitens die Kinder keine Kinder mehr sind. Sie waren Kinder des SWAPO-Befreiungskampfes und lebten in der DDR im Exil.
Die Südafrikanische Armee überfiel im Mai 1978 das SWAPO-Lager in Cassinga/Angola, mehr als 600 Menschen starben. Überlebende wurden ins nächstgelegene Lager Kwanza Sul gebracht, unter ihnen waren viele Babys und Kleinkinder, die durch den Angriff zu Waisen geworden waren. SWAPO-Präsident Sam Nujoma bat die internationale Staatengemeinschaft um Hilfe – die DDR war eines der Länder, die konkrete Hilfe anboten.
So kam im Dezember 1979 die erste Gruppe, bestehend aus 80 drei- bis siebenjährigen Kindern, mit ihren Betreuern im SWAPO-Kinderheim im Ort Bellin bei Güstrow (Mecklenburg-Vorpommern) an. Diese 80 sehen sich übrigens als „Kern der DDR-Kinder“.
Weiße Landschaft
Schneeweiße Landschaft, fast so wie Zucker, wohin die großen, dunkelbraunen Kulleraugen blicken. Wo bin ich hier nur gelandet? Dass die schöne Schneelandschaft nicht aus Zucker bestand, hatte ich vor zwei Wochen erfahren müssen.
Sobald wir aus dem Kinderheim durften, blickten wir alle erstaunt auf das weiße, puderartige Etwas, das zu unseren Füßen lag. Es war wie wahr gewordenes Schlaraffenland. Wie die anderen Kinder stürzte ich mich auf den „Zucker“. Ich stellte jedoch zu meiner Riesenenttäuschung fest, dass der „Zucker“ eiskalt, überhaupt nicht süß war und auf der Zunge sowie an den Zähnen schmerzte. Da ich mir jedoch den Spaß und den Geschmack am Schnee nicht nehmen lassen wollte, suchte ich einen kleinen abgebrochenen Ast und stopfte mir den „Zucker“ darauf. Lutschend setzte ich meinen Spaziergang fort. Tage später lag ich mit einer fieberhaften Erkältung im Bett, neben mir noch ein paar andere Schneelutscher aus Namibia.
Mein drittes bis neuntes Lebensjahr verbrachte ich in Mecklenburg-Vorpommern, und nachdem der Vertrag zwischen der damaligen SED-Regierung und der SWAPO um mehrere Jahre verlängert worden war, lebte ich bis zum 14. Lebensjahr in Sachsen-Anhalt. Dort wuchs ich wie ein „normales“ deutsches Kind ohne Eltern auf.
Es ist erstaunlich, wie einen das durch das ganze Leben begleitet. Die Leute nennen mich noch heute „eines der DDR-Kinder“, da ich mit 79 weiteren namibischen Kindern aus dem südlichen Afrika in die ehemalige DDR kam. Seit 1990 lebe ich in Namibia. Es war anfangs eine große Umstellung, und noch heute fühle ich mich zwischen zwei Welten hin- und hergerissen. Hier bieten sich mir, anstelle von grünen Wiesen im Sommer und Schnee im Winter, beige- und graufarbene Weiten. Und ich lernte bald, dass das schönste Geschenk zu Weihnachten – so wie in Deutschland der Schnee – in Namibia der Regen ist.
Naita Hishoono
In den folgenden Jahren folgten weitere Gruppen, so dass am Ende der DDR 1989 mehr als 400 namibische Kinder in Bellin und in Staßfurt (Schule der Freundschaft) bei Magdeburg lebten.
Die später gekommenen Kinder hatten ihre Eltern zwar meist noch, doch diese waren im Befreiungskampf der SWAPO aktiv oder studierten im Ausland und wollten den Kindern eine gute Ausbildung ermöglichen. Der Lehrplan für die namibischen Kinder war genauso aufgebaut wie der für die deutschen Kinder. Jedoch wurde in den einzelnen Fächern Wert darauf gelegt, Namibia mit einzubeziehen, beispielsweise wurde in Biologie auch auf die Flora und Fauna in Namibia eingegangen.
Als die ältesten Kinder gerade in der 9. Klasse waren, ereigneten sich
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