Nana - der Tod traegt Pink
Lebenden kann man nicht beerdigen. Nur einen Toten.‹«
Bei AETAS ist man davon überzeugt, dass es gilt, diese Ängste zu überwinden und sich darauf einzulassen, den Tod mit allen Sinnen zu begreifen. Ihn zu sehen, zu fühlen und zu riechen. Die AETAS-Trauerbegleiter erleben zwei unterschiedliche Typen im Umgang mit dem Tod. Die einen, die sofort zu dem Toten hingehen und ihn dann meist auch gleich berühren. Und die anderen, die an der Tür stehen bleiben und stark verunsichert sind, so Nicole Rinder:
Oft hören wir den Ausruf: ›Das ist er ja gar nicht!‹ Wir erkundigen uns dann vorsichtig, was denn anders sei. Manchmal können es die Angehörigen nicht anders benennen als ›Er sieht so anders aus.‹ Wir erklären dann sehr viel und führen die Angehörigen an den Sarg. Meist geht die Initiative des Anfassens von uns aus, wir machen es richtiggehend vor: ›Sehen Sie, Sie können ihn berühren.‹ Für mich ist es immer schlimm, wenn eine Mutter vor ihrem toten Baby steht und fragt: ›Ich darf es wohl nicht mehr auf den Arm nehmen?‹ Natürlich ist das gestattet, man darf es küssen und streicheln! Und in diesem Moment passiert immer etwas ganz Besonderes.«
Florian Rauch ist überzeugt – wenn dieses letzte Stück fehlt, kann der ganze Trauerprozess in Schieflage geraten:
Öffnen sich die Angehörigen und gehen mit uns die Begleitung in all den Schritten gemeinsam, ist die Rückmeldung immer positiv. Die größten Skeptiker, die salopp formuliert ›die Hosen gestrichen voll hatten‹, sind richtiggehend dankbar.«
AETAS forciert im Rahmen der von ihnen ausgerichteten Verabschiedungen daher eine aktive Mithilfe durch die Angehörigen. Das kann das Ankleiden des Leichnams sein, das Bemalen des Sarges oder die Gestaltung der Sterbebilder. Wichtig ist ihnen eine Beteiligung an den letzten Tätigkeiten, die man für einen Toten ausführen kann und die als klassische Trauerrituale heute fast schon in Vergessenheit geraten sind.
Pimp me up
Nana wird bereits im Haus ihrer Eltern für ihre letzte Reise vorbereitet.
Chris und Barbara wählen lauter Lieblingsstücke aus: Nana trägt den Brokatmantel, den ihr Chris zu Weihnachten geschenkt hat, darunter ein pinkfarbenes
T-Shirt, schwarze Leggings mit Glitzerapplikationen, ihre geliebten pink-schwarzen Chucks und einige Schmuckstücke, die ihr sehr am Herzen lagen.
Obwohl Nana in ihren letzten Wochen wieder fast all ihre Haare verloren hat, beschließt die Familie dennoch, ihr keine Perücke aufzusetzen. Im Sarg soll die pure Nana liegen und nicht eine verkleidete. Jetzt stellt sich noch die Frage nach dem Make-up. Nana, die niemals das Haus verließ, ohne wenigstens ihr »Oma-Make-up« in Form von Lippenstift aufzulegen, brauchte auf jeden Fall ein Styling. Barbara denkt sofort an Sandra Kader von der Make-up-Schule Lilly meets Lola, ist sich jedoch gleichzeitig unsicher, ob Sandra diese Frage nicht als Belastung und Belästigung empfindet. Sandra zögert zwar kurz, macht sich dann aber sofort auf den Weg zu Familie Stäcker:
Mein erster Gedanke war: ›Oh, Gott nein! Das kann ich nicht.‹ Und der zweite: ›Natürlich schminke ich sie! Schließlich muss Nana gestylt und aufgepimpt in den Himmel einziehen.«‹
Bild 50
13.12.2011: Das letzte gemeinsame Shooting von Barbara und Nana trägt den Titel »Imaginaerum«.
Dennoch geht Sandra damit an ihre Grenzen. Schließlich hat sie noch nie zuvor eine Tote geschminkt. Allein mit Nana im Zimmer, fehlt ihr das sonst übliche witzige Zusammenspiel mit ihr, das Herumalbern. Auch jetzt spürt sie Nanas Anwesenheit, bis hin zu dem Gefühl, Nana lenke die Farbauswahl. Sandra führt einen richtiggehenden Dialog mit ihr: »Nana? Soll ich echt das krasse Glitzerpink nehmen?« »Ja.« »Wirklich die Lippen so aufpeppen?« »Klar, mach’s!« Nach und nach verliert sie ihre Scheu und empfindet es schließlich sogar als Ehre, die tote Nana zu schminken. Später sagt Sandra, dass es sie stärker gemacht habe. Und stolz: »Ich muss zugeben, Nana sah verdammt gut aus!«
Sandra wird sich danach längere Zeit selbst nicht mehr schminken. Es kommt ihr so unbedeutend vor, so banal nach diesem letzten gemeinsamen Ritual mit Nana. Bei dem sie ihre »Kleine«, wie sie Nana nannte, mit all ihren Make-up-Künsten für deren letzten Weg gerüstet hat, an dem Sandra selbst so gewachsen ist.
Grenzgänger
Die Begegnung mit dem Tod verläuft für Nanas Umfeld nicht spurlos. Ihn derart hautnah zu erleben, ist einschneidend
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