Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Nana

Titel: Nana Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
Vom Netzwerk:
blinde, unmittelbare Befriedigung heischende Verlangen, das sich allem anpaßt, sondern eine Leidenschaft, die eifersüchtig war auf diese Frau; ein Bedürfnis nach ihr, ihrem Haar, ihren Augen, ihrem Leib. Wenn er sich des Klanges ihrer Stimme erinnerte, lief ein Frösteln durch seine Glieder. Er verlangte nach ihr mit der Gier eines Geizigen, mit dem Bedürfnis nach unendlichen Zärtlichkeiten. Diese Leidenschaft hatte ihn dermaßen bewältigt, daß er bei den ersten Worten Labordettes, der ein Stelldichein zwischen ihnen beiden vermitteln wollte, diesem in die Arme sank; allerdings schämte er sich dann dieses bei einem Manne seines Ranges lächerlichen Benehmens. Doch Labordette durchschaute rasch die Lage. Er gab wieder einmal einen Beweis seines Taktes, indem er den Grafen am Fuße der Treppe mit den einfachen Worten verließ:
    Im zweiten Stock, der Korridor rechts; die Türe ist nur angelehnt.
    Muffat befand sich allein in diesem stillen Winkel des Theaters. An dem Künstlerzimmer vorbeikommend, sah er durch die offene Türe die greuliche Unordnung, die an solchen Tagen in diesem großen Raume herrschte. Was ihn überraschte, als er aus der Dunkelheit und dem Lärm der Bühne heraustrat, war die tiefe Ruhe, die jetzt auf dieser Treppe herrschte, die er eines Abends im dunstigen Gaslichte, bevölkert von Statistinnen gesehen, die durch alle Stockwerke rasten. Die Logen waren leer, die Gänge verödet; kein Mensch war da, kein Geräusch ließ sich hören. Durch die vergitterten Fenster des Treppenhauses fiel das bleiche Licht des Novembertages in gelben Streifen herein, in denen der feine Staub dieser stillen Räume wogte. Diese Stille, diese Ruhe tat dem Grafen wohl; er ging langsam hinauf und suchte sich zu fassen. Sein Herz pochte stürmisch. Er fürchtete, sich wie ein Kind zu benehmen, seufzend und Tränen vergießend. Auf dem Treppenabsatz des ersten Stockwerkes lehnte er sich an die Mauer. Das Taschentuch an die Lippen gedrückt, betrachtete er die ausgetretenen, zerbrochenen Treppenstufen, die abgegriffene Eisenrampe, die stellenweise vom Mörtel entblößten kahlen Wände, das ganze Elend, das sich zu dieser Stunde, da die Schauspielerinnen noch schlafen, in seiner Nacktheit zeigte. Im zweiten Stockwerke angekommen, mußte er über eine große, rote Katze steigen, die auf einer Treppenstufe zusammengekauert schlief. Diese allein hütete jetzt das dunkle, staubige, mißduftende Haus.
    Im Korridor rechts fand er die angelehnte Türe. Nana erwartete ihn. Greulicher Schmutz und heillose Unordnung herrschte in der Loge Mathildens, einer kleinen, schmierigen Naiven. Überall zerbrochene Töpfe, die Toilette ganz fettig, der einzige Sessel voll roter Schminkflecke. Die Papiertapete war bis zur Decke hinauf mit Seifenwasser bespritzt. Es roch so übel in diesem Raume, daß Nana das Fenster öffnen mußte. Sie lehnte sich einen Augenblick an das Gesims, um frische Luft zu schöpfen und blickte in den schmalen Hof hinunter, dessen grünliche Steinplatten Madame Bron eben zu reinigen versuchte. Draußen hing ein Käfig, in dem ein Zeisig seine traurigen Triller hören ließ. Das Geräusch der Wagen von der Straße drang nicht bis hierher; es herrschte eine peinliche Ruhe. Die Augen erhebend, sah Nana die Auslagen der Passage der Panoramen und dahinter die Häuser der Vivienne-Straße, deren hintere Mauern leer und kahl in die Luft ragten. Auf einem der Dächer hatte ein Photograph sein Atelier in der Form eines großen blauen Käfigs errichtet. Durch ein Pochen an die Türe wurde Nana aus ihrer Träumerei aufgestört.
    Herein! rief sie.
    Als sie den Grafen erblickte, schloß sie das Fenster. Es war nicht warm, und diese neugierige Frau Bron brauchte nicht zuzuhören. Die beiden blickten einander ernst an. Als sie sah, daß er stumm und steif, mit stockendem Atem dastand, brach sie in ein Gelächter aus und sagte:
    Bist du da, dummer Junge?
    Er war in tiefer Erregung, wie zu Eis erstarrt. Er nannte sie Madame; er schätzte sich glücklich, sie wiederzusehen. Um rascher ans Ziel zu gelangen, zeigte sie sich noch vertraulicher.
    Gib dich doch nicht so würdevoll, sagte sie, du hast gewünscht, mich zu sehen und wir sind nicht zusammengekommen, um einander anzustarren wie zwei Porzellanfiguren. Wir haben beide Fehler begangen; ich verzeihe dir.
    Und sie einigten sich, darüber nicht weiter zu sprechen. Der Graf war zufrieden; er beruhigte sich allmählich, wußte aber in der Sturmflut von Worten, die sich ihm auf die

Weitere Kostenlose Bücher